Autobranche befürchtet Produktionsausfälle wegen Halbleiterkrise
Nexperia hat seinen Kunden mitgeteilt, dass es keine verlässliche Lieferung von Halbleitern mehr garantieren könne. Ursache dafür sind geopolitische Eingriffe: Die niederländische Regierung hat die Kontrolle über Nexperia und den chinesischen Firmenchef Zhang Xuezheng per Gerichtsbeschluss abgesetzt. Die Regierung begründete dies mit der Sorge vor einer möglichen Technologie-Weitergabe an die chinesische Muttergesellschaft Wingtech.
Darauf reagierte die chinesische Regierung mit Exportbeschränkungen auf Teile der Produktion von Nexperia. Zum Verständnis wichtig: Das größte Werk von Nexperia mit 1.600 Mitarbeitern steht zwar in Hamburg. Jedoch werden die Chips von dort zur Weiterverarbeitung nach China geliefert – und danach zum Beispiel wieder nach Europa re-exportiert. Die chinesische Regierung hat nun aber als Reaktion auf die Enteignung in den Niederlanden den Export vieler Bauteile mit Nexperia-Chips verboten. Betroffen sein sollen laut Nexperia rund 80 Prozent der Endprodukte.
Schnelle und pragmatische Lösungen gesucht
Die eigentlich Firmen-interne Krise bei Nexperia betrifft auch massiv die Automobilindustrie. Denn Nexperia ist ein wichtiger weltweiter Großlieferant von Halbleitern, die z.B. häufig in elektronischen Steuergeräten von Fahrzeugelektroniksystemen zum Einsatz kommen. „Die Situation könnte schon in naher Zukunft zu erheblichen Produktionseinschränkungen, gegebenenfalls sogar zu Produktionsstopps führen, falls die Lieferunterbrechung von Nexperia-Chips nicht kurzfristig behoben werden kann“, warnt deshalb VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Der VDA ist daher mit den betroffenen Unternehmen, der Industrie, der Bundesregierung sowie der EU-Kommission in Kontakt, um „schnelle und pragmatische Lösungen zu finden“, so Müller weiter.
Elektroautos sind dabei noch stärker auf Halbleiter angewiesen als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor: Ein Batterie-elektrisches Auto hat gut zweimal so viele Halbleiter wie ein Benziner oder Diesel. Die Unternehmensberatung P3 Group sprach 2022 bei einer der letzten Halbleiter-Krisen von 1.300 zu 600 Exemplaren pro Pkw. Und die befinden sich vorwiegend im Antriebsstrang (600 zu 300).
Entsprechend könnte nun die Elektroauto-Produktion noch deutlicher von der Halbleiter-Krise um Nexperia getroffen werden als die Verbrenner-Produktion. Denn fehlt ein einzelner Chip, kann ein ganzes Steuergerät oder sogar das komplette Fahrzeug nicht fertiggestellt werden. Da diese Elektronik etwa im Batteriemanagement, dem Wechselrichter, der Leistungselektronik und auch anderen Systemen wie der heute wichtigen Sensorik und Fahrassistenzsystemen steckt, sind Elektroautos eben überdurchschnittlich davon betroffen.
Zulassung von Komponenten anderer Lieferanten dauert
Natürlich versuchen Autohersteller und -zulieferer, ihre Lieferketten für Halbleiter zu diversifizieren. Doch selbst wenn der selbe Chiptyp von alternativen Anbietern bezogen werden kann, dauert die Zulassung neuer Lieferanten für bestimmte Komponenten und der Aufbau der Produktion mehrere Monate, während die aktuellen Lagerbestände an Nexperia-Chips voraussichtlich nur wenige Wochen reichen werden, warnt der europäische Autoherstellerverband ACEA. „Dieses branchenübergreifende Problem betrifft zahlreiche Zulieferer und praktisch alle unsere Mitglieder“, sagt ACEA-Generaldirektorin Sigrid de Vries. „Wir befinden uns plötzlich in dieser alarmierenden Situation. Wir brauchen dringend schnelle und pragmatische Lösungen von allen beteiligten Ländern.“
Noch ist unklar, welche Zulieferer, Autohersteller und Modelle in welchem Umfang betroffen sind. Es gab zwar bereits Medienberichte über einen Produktionsstopp von VW in Wolfsburg, doch den wollte der Konzern nicht bestätigen. Doch laut einer Mitgliederbefragung des VDA vom Wochenende rechnen viele der größten Zulieferer und Autohersteller des Landes innerhalb weniger Tage mit ersten Lieferproblemen. Die Autohersteller selbst beziehen die Halbleiter in der Regel nicht direkt von den Chipherstellern, sondern kaufen von Zulieferern wie Bosch, Continental oder ZF fertige Komponenten, in denen Halbleiter verbaut sind. Und die größeren Zulieferer erhalten dafür zuvor meist kleinere Komponenten von kleineren Zulieferern. Dadurch kann das Ausmaß der neuen Halbleiter-Krise nicht sofort auf einen Blick erfasst werden.
manager-magazin.de, vda.de, acea.auto, spiegel.de (VW)
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