Diess gibt VW-Kernmarke ab, Brandstätter übernimmt

Der VW-Aufsichtsrat hat Konzernchef Herbert Diess die Führung der Marke VW Pkw entzogen. Der bisherige COO Ralf Brandstätter übernimmt, damit Diess laut der offiziellen Begründung „mehr Freiraum für seine Aufgaben als Konzernchef“ erhalte.

Das hat der Aufsichtsrat bei einer außerordentlichen Sitzung am Montag beschlossen. Die neuen Zuständigkeiten bei der Führung von Marke und Konzern gelten ab 1. Juli. Im Konzernvorstand behält Diess jedoch die Gesamtverantwortung für den Bereich Volkswagen Pkw sowie die Markengruppe Volumen. Ziel ist laut der Mitteiling „eine stärkere Fokussierung auf die jeweiligen Aufgaben an der Spitze von Konzern und Marke in der laufenden Transformationsphase der Automobilindustrie“.

Diess selbst lobt Brandstätter als einen der erfahrensten Manager des Unternehmens. „Er hat bereits in den zurückliegenden zwei Jahren Volkswagen als COO erfolgreich geführt und die Transformation der Marke an entscheidender Stelle mitgestaltet“, sagt Diess. „Ich freue mich daher, dass Ralf Brandstätter nach den tiefgreifenden strategischen Entscheidungen der vergangenen Jahre jetzt die Entwicklung der Marke als CEO weiter kraftvoll vorantreiben wird.“

Was angesichts der großen Herausforderungen, vor denen VW und andere etablierte Autobauer stehen, nach einer nachvollziehbaren und logischen Entscheidung klingt, ist jedoch auch ein gewisser Vertrauensverlust seitens des Aufsichtsrats in Diess. Der Österreicher steht zunehmend unter Druck, dass die von ihm angestoßene Transformation auch Ergebnisse zeigt. Die Probleme bei der Markteinführung des Golf 8, die Software-Probleme beim ID.3 und offenbar auch Managementfehler hatten zuletzt intern zu starker Kritik an Diess geführt.

Vergangene Woche hatte das „Handelsblatt“ berichtet, dass der Aufsichtsrat Diess zu Gute halte, dass er den Umstieg von Verbrennern auf E-Autos eingeleitet und in die Digitalisierung investiert habe – beides dringend notwendige Maßnahmen in Wolfsburg. In dem Bericht wird Brandstätter aber nicht als Verbündeter von Diess dargestellt. Der Konzern-CEO soll bei einer Aufsichtsratssitzung im Mai sogar Brandstätter als Verantwortlichen für die Probleme bei den neuen Modellen genannt haben. Der sei im Markenvorstand für das operative Geschäft zuständig, so Diess. Als Verbündete des Österreichers werden stattdessen Audi-Finanzvorstand Arno Antlitz und VW-Entwicklungsvorstand Frank Welsch genannt.

Zuletzt gab es sogar Gerüchte, dass Diess Porsche-Chef Oliver Blume als Markenvorstand von Volkswagen nach Wolfsburg holen wolle. Die „auto motor und sport“ berichtete jedoch unter Berufung auf Unternehmenskreise, dass Blume Vorsitzender des VW-Markenvorstands werden solle. Dieser Posten ist nun belegt.

Für Diess heißt die neue Führungskonstellation nicht nur, dass er sich auf seine Rolle als Konzern-CEO konzentrieren soll – sondern dass er das dem Aufsichtsrat zufolge nun auch tun muss.

In einer weiteren Meldung gab der Konzern bekannt, dass Stefan Sommer Volkswagen zum 30. Juni 2020 auf eigenen Wunsch verlässt. Der frühere ZF-Vorstand hatte das Einkaufsressort und die Komponente geleitet, die Aufgaben übernimmt nun Finanzvorstand Frank Witter kommissarisch.

Update 09.06.2020: Das „Handelsblatt“ liefert weitere Details zum Streit an der Volkswagen-Spitze: Der wahre Grund, weshalb Diess die Führung der Marke abgeben musste, seien nicht seine Pflichten als Konzernchef gewesen. Vielmehr habe Diess die Mitglieder des Präsidiums beschuldigt, dass sie Firmeninterna an Medien durchgestochen hätten. „Das sind Straftaten, die im Aufsichtsratspräsidium passieren und dort offensichtlich zugeordnet werden können“, soll Diess am vergangenen Donnerstag vor 3.400 Konzern-Führungskräften gesagt haben. Diess sei über die daraus folgenden Medienberichte über Probleme bei den wichtigen Modellen Golf 8 und ID.3. sehr verärgert gewesen.

Das Präsidium besteht neben dem Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Dieter Pötsch aus Wolfgang Porsche, Stephan Weil, Jörg Hofmann, Bernd Osterloh und Peter Mosch – also Vertretern der beiden größten Einzelaktionäre mit der Familie Porsche/Piech und dem Land Niedersachsen sowie mit Hofmann, Osterloh und Mosch wichtige Gewerkschafter bzw. Arbeitnehmervertreter.

Der Vorwurf des Rechtsbruchs kam im Aufsichtsrat natürlich nicht gut an. Bei einer noch am selben Tag einberufenen Sitzung soll sogar eine Entlassung von Diess diskutiert worden sein – das habe man aber „wegen formaler Bedenken“ angesichts der ungeplanten und kurzfristig einberufenen Sitzung verworfen. Bei einer weiteren Sitzung am Montag habe man sich auf die Lösung geeinigt, dass Diess die Führung der Marke abgeben müsse.

Dass an den Informationen aus dem „Handelsblatt“-Bericht etwas dran ist, hat VW inzwischen bestätigt. „Dr. Diess hat sich in aller Form bei den Mitgliedern des Aufsichtsrates für die Äußerungen entschuldigt und erklärt, dass diese unangemessen und falsch waren“, heißt es in einer kurzen Mitteilung. „Die Mitglieder des Aufsichtsrates haben die Entschuldigung von Dr. Diess angenommen und werden ihn auch künftig bei seiner Arbeit unterstützen.“ Ob Diess tatsächlich kurz vor dem Rauswurf stand, geht aus der Mitteilung nicht hervor.
volkswagen-newsroom.com (Diess/Brandstätter), volkswagen-newsroom.com (Sommer), handelsblatt.com, volkswagen-newsroom.com (Update)

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