Einstiger Erfinder Schuh kauft Ex-StreetScooter-Firma zurück
Professor Günther Schuh hatte das Unternehmen hinter dem StreetScooter mit seinem Kollegen Achim Kampker einst an der RWTH Aachen gegründet und 2014 an die Deutsche Post verkauft. Im Januar 2022 übernahm es B-ON, ging jedoch im September 2023 in die Insolvenz. Seinerzeit sah es für den Post-Lieferwagen nicht gut aus. Denn laut Insolvenzverwalter Dirk Wegener der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft dphg in Aachen, stellte sich der „Fall recht kompliziert dar, weil viele Partner wie die DHL und zahlreiche Schlüssel-Lieferanten mitwirken mussten, die nicht unmittelbar an der Insolvenz (…) beteiligt waren, ohne deren Mitwirkung aber eine Rettung nicht möglich gewesen wäre.“
StreetScooter-Erfinder Schuh ist das Kunststück augenscheinlich gelungen. Mit seiner neuen Firma e.Volution kaufte er das insolvente Unternehmen nun zurück und übernimmt alle 68 Angestellten. In einer begleitenden Mitteilung von e.Volution heißt es, man habe „unmittelbar nach Eröffnung der Insolvenz den Betrieb und das Anlagevermögen der Gesellschaft zum 1. Januar 2024 erworben“. Parallel glühten die Drähte zu den anderen (in)direkt Beteiligten. So ist e.Volution nach eigenen Angaben eine strategische Partnerschaft mit Neapco eingegangen, dem Auftragsfertiger der elektrischen Zustellerfahrzeuge in Düren. Gleichzeitig erwirkten Schuh und sein Team einen neuen Auftrag der DHL Group über den Kauf von 700 E-Fahrzeugen.
Interessant: Die B-ON GmbH hat ihren Namen laut dem Handelsregister unmittelbar vor der Insolvenz Mitte September 2023 noch in Nob Manufacturing GmbH geändert. Insofern ging der Betriebsübergang nun von der Nob zur e.Volution vonstatten. Laut Schuh handelte es sich juristisch um eine „übertragende Sanierung“. Der neue Chef plant nun nicht nur neue Chargen, sondern auch die Weiterentwicklung am StreetScooter, heißt es unter anderem in einem Artikel der „Welt“. Dazu gleich mehr.
In Düren laufe die Produktion bei Auftragsfertiger Neapco wieder an, äußerte Schuh gegenüber der „Welt“. Neapco habe dazu die Betriebsmittel für die Fahrzeugmontage in Düren von der DHL Group erworben. Der erwähnte neue Auftrag hat laut Schuh die Weiterführung des Betriebs und den Erhalt der Arbeitsplätze möglich gemacht. Nicht nur in seiner Firma, sondern auch bei Neapco und bei weiteren Zulieferern. Von der Insolvenz waren bei Bekanntgabe im September 78 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Nob und circa 170 Mitarbeitende des Neapco-Werkes betroffen.
Dem Post-Konzern DHL Group attestiert Schuh gegenüber der „Welt“ „sehr hilfreich und großzügig“ gewesen zu sein. „Wir haben vereinbart, dass wir eine Charge von 700 bis 820 Fahrzeugen im ersten Halbjahr liefern. Durch dieses Auftragsvolumen sind wir auch für die Zulieferer wieder im Geschäft.“ Die DHL Group habe zudem in kürzester Zeit die Voraussetzungen für die Beauftragung und für den Verkauf wesentlicher Betriebsmittel an e.Volution geschaffen, die bisher noch in ihrem Eigentum standen. Die „Welt“ berichtetet, dass bei dem Post-Konzern noch fast alle der 22.000 für ihn gebauten Lieferwagen im Einsatz seien.
Der StreetScooter wurde unter den verschiedenen Verantwortlichen erst in „Sherpa“ umbekannt, dann zum „Max“ und „Giga“. Schuh schreibt nun in einem längeren Statement auf Linkedin: „Wir dürfen unser „Baby“ StreetScooter (…) auf das nächste Level transformieren. Noch nie habe ich einen solchen Transformationswillen erleben dürfen wie jetzt in Düren. Der Wille, nicht nur eine Erfindung aus der Region zu erhalten und auch die industrielle Wertschöpfung daraus in der Region zu behalten, sondern auch gleichzeitig ein Vorbild für eine Upgrade Circular Economy im Automobilgeschäft in NRW zu schaffen, war fulminant.“ Schuh spricht weiter davon, mit vielen Unterstützern das Unmögliche möglich gemacht zu haben.
Laut Insolvenzverwalter Wegener war der Fall durch die Vielzahl der direkt und indirekt Beteiligten recht kompliziert: „Es gab viel zu moderieren und zu motivieren in diesem Verfahren“.
Die Geschichte des StreetScooter kennt in der eMobility-Branche fast jeder. Die Post DHL begann aus Mangel an passenden Angeboten, auf Basis von Schuhs Erfindung selbst E-Lieferwagen zu produzieren. Zwischen 2014 und 2021 betrieb der Konzern eine entsprechende eigene Sparte, suchte aber nach einer Weile den Ausstieg, da die Fertigung zuletzt nicht mehr profitabel zu betreiben war. Der Käufer: B-ON.
B-ON übernahm die Produktion des StreetScooter im Januar 2022. Wichtig: Das Unternehmen StreetScooter selbst kauften die Luxemburger nicht (dieses kümmert sich seit 2022 um die Betreuung der StreetScooter-Bestandsflotte bei der Deutsche Post/DHL-Gruppe), sondern lediglich dessen Fertigungs-Geschäft. Damals hieß B-ON noch Odin Automotive. Die Produktion der Fahrzeuge erfolgte weiterhin im StreetScooter-Werk in Düren mit einer Kapazität von 30.000 Fahrzeugen im Jahr.
B-ON versuchte alsbald, zusätzlich zu der Fahrzeuglinie ergänzende Elektrifizierungs-Dienstleistungen einzuführen und vom „Erstausrüster zum umfassenden Anbieter von E-Fahrzeuglösungen“ zu werden, wie vergangenes Jahr auf der Homepage zu lesen war. Der Hauptsitz der Firma befindet sich in Luxemburg. Außerhalb Deutschlands verfügt die Muttergesellschaft über Niederlassungen in den USA, Großbritannien, Japan, China und Lateinamerika. Die Insolvenz betraf im vergangenen Jahr allein den deutschen (in Nob umgewidmeten) Ableger, nicht aber andere internationale Gesellschaften. So erklärt sich auch, warum B-ON nur einen Monat nach der Insolvenz der deutschen Gesellschaft in Japan einen neuen E-Transporter vorstellte.
Als Grund für die Insolvenz wurden im September Produktionsrückgänge genannt. Offiziell hieß es, dass Lieferengpässe und Qualitätsprobleme bei Bauteilen zu weniger Output damit in der Folge zu Zahlungsschwierigkeiten geführt hätten.
Günther Schuh will das Fahrzeug nach der Übernahme auf eine neue technische Basis stellen. Hintergrund ist sein Bestreben ein sogenanntes Circular-Economy-Elektrofahrzeug zu entwickeln, das dank modularer Upgrades 50 Jahre halten soll. Zu diesem Zweck hat er das RWTH-Spinoff e.Volution gegründet. In der aktuellen Mitteilung ist die Rede von einer „überlegenen Nachhaltigkeit durch extreme Langlebigkeit der Basisfahrzeuge“. Man habe mit der RWTH Aachen einen „Upgrade Re-Assembly Prozess“ entwickelt, der durch ein besonders langlebiges Chassis und eine Digitale Fahrzeugakte eine regelmäßige kostengünstige Aufwertung bestehender Fahrzeuge ermöglicht.
Der Rückkauf von StreetScooter erfolgt vor dem Hintergrund, dass dieses Konzept „bei kleinen, stark strapazierten Nutzfahrzeugen besonders wirkungsvoll“ wäre. „Die Beanspruchung der StreetScooter im täglichen Betrieb ist höher als bei jedem anderen leichten Nutzfahrzeug. Hier kann unser Konzept seine Wirkung vorbildlich entfalten und den ökologischen Footprint über den Lebenszyklus wesentlich verbessern und gleichzeitig die Betriebskosten senken“, so Schuh. “Ich bin der DHL Group und insbesondere ihrem CEO Tobias Meyer für seine Unterstützung bei dieser Transaktion sehr dankbar, durch die wir die Chance bekommen, die gemeinsame Innovation von Deutscher Post und RWTH Aachen von vor 10 Jahren nun auf ein nächstes Level weiterzuentwickeln.“ Mit der strategischen Übernahme einer laufenden Produktion könne das Re-Assembly-Konzept von e.Volution nun deutlich schneller in die Praxis umgesetzt werden.
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