Deutsches Konsortium pusht Entwicklung selbstfahrender Nutzfahrzeuge
Ziel von ATLAS-L4 war es, einen vollautomatisiert fahrenden Lkw für den Hub-to-Hub-Transport auf die Schnellstraßen zu bringen. Basis dafür war das 2021 in Deutschland verabschiedete Gesetz, das autonomes Fahren auf fest definierten Strecken unter einer technischen Aufsicht grundsätzlich ermöglicht. „Das bringt Deutschland global in eine Vorreiterrolle“, sind die Projektteilnehmer überzeugt.
Nach drei Jahren Forschung und Entwicklung ziehen die zwölf Projektpartner aus Industrie, Wissenschaft, Softwareentwicklung und Infrastruktur nun Bilanz: Diese Woche haben die Projektbeteiligten ihre Ergebnisse vor etwa 200 Gästen im Beisein von Vertretern des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz präsentiert – inklusive Fahrdemonstrationen auf dem Gelände des ADAC Testzentrums Mobilität in Penzing und auf der Autobahn. Wichtigste Botschaft: „Der autonome Truck im Straßenverkehr wurde dank der Arbeit von rund 150 Ingenieurinnen und Ingenieuren Realität“, wie es einer der zentralen Projektteilnehmer formuliert: der Münchner Nutzfahrzeughersteller MAN Truck & Bus. Weitere Partner im Boot waren Knorr-Bremse, Leoni, Bosch, Fernride, BTC Embedded Systems, Fraunhofer AISEC, die Technische Universität München, die Technische Universität Braunschweig, TÜV SÜD, die Autobahn GmbH und das Würzburger Institut für Verkehrswissenschaften (WIVW GmbH).
Auf bestimmten Strecken agiert Lkw völlig selbstständig
Der Projektname ATLAS-L4 steht konkret für „Automatisierter Transport zwischen Logistikzentren auf Schnellstraßen im Level 4“. Level 4 wird auf der von eins bis fünf reichenden Skala des automatisieren Fahrens auch als „vollautomatisiertes Fahren“ bezeichnet. Das bedeutet, dass das Fahrzeug die Fahrten auf bestimmten Strecken völlig selbstständig bewältigen kann und auch ohne Insassen fahren darf. Bei Level 4 erkennt das System seine Grenzen so rechtzeitig, dass es regelkonform „einen sicheren Zustand“ erreichen kann, indem es etwa einen Parkplatz ansteuert. Der Unterschied zum völligen autonomen Fahren besteht nur noch darin, dass die Fahrzeuge auf bestimmte Strecken festgelegt sind. Bei Level 5 müssen Fahrzeuge ortsunabhängig alle Verkehrssituationen bewältigen können.
Der Startschuss für ATLAS-L4 fiel im Januar 2022 , die Premiere auf der Straße mit einem MAN-Lkw fand vergangenes Jahr statt, nachdem das Kraftfahrt-Bundesamt im April 2024 die erste Level-4-Erprobungsgenehmigung für einen Nutzfahrzeughersteller überhaupt erteilt hatte. Bei dieser ersten Autobahnfahrt eines autonomen Lkw in Deutschland war der damalige Bundesverkehrsminister Volker Wissing an Bord, nebst einem Sicherheitsfahrer. Daneben erfolgte im Projekt vor allem viel Software-Feinarbeit: „Die Automatisierungs-Software im Fahrzeug wurde durch regelmäßige Releases kontinuierlich über einen langen Zeitraum hinweg optimiert und direkt in der Praxis erprobt“, schildert MAN.
Fortschritte bei redundanten Systemen
Parallel bauten die Teilnehmer die für die Level-4-Architektur sicherheitsrelevanten Komponenten auf, darunter ein redundantes Bremssystem, Bordnetz und eine redundante Lenkung. Weitere beackerte Felder waren ein Validierungskonzept, die Inbetriebnahme eines Control Centers für die technische Aufsicht sowie Risikoanalysen und Safety-Betrachtungen gemäß Level 4 (inklusive Cybersicherheit). Resultat des Projekts ist eine „prototypische Technologie“, die nun als Blaupause für weitere Projekte und Serienentwicklungen dienen soll.
„Wir haben uns zusammen mit unseren Partnern ein hohes Ziel gesetzt und ein industrialisierbares Basiskonzept für das autonomen Fahren im Hub-to-hub Einsatz verwirklicht“, resümiert Dr. Frederik Zohm, Vorstand für Forschung und Entwicklung bei MAN Truck & Bus (in dessen Verantwortung MAN bis 2030 übrigens auch einen vollautomatisierten Bus in Serie bringen will). Die Entwicklung und Integration der für den sicheren Einsatz notwendigen redundanten Komponenten wie Lenkung, Bremse und Bordnetz sowie das Erstellen eines Validierungskonzeptes habe interdisziplinäre Kompetenz und enge Teamarbeit erfolrdert. „Als Konsortium haben wir mit dem Projekt bewiesen: Autonom fahrende Lkw sind realisierbar“, so Zohm. „Innovationen wie das autonome Fahren erfordern solche Kooperationen, um Zukunftstechnologie in Deutschland und Europa effektiv voranzubringen“.
Noch viele Detailfragen offen
Ein Basiskonzept hat ATLAS-L4 also hervorgebracht. Für einen autonomen Truck in Serie müssen den Verantwortlichen zufolge aber noch diverse Detailfragen geklärt werden. „Wir haben wertvolle Pionierarbeit geleistet, indem wir für die technische Machbarkeit von autonomen Trucks den praktischen Nachweis erbracht haben“ so Projektkoordinator Sebastian Völl von MAN Truck & Bus. „Diese Konzepte fließen nun in die weitere Entwicklungsarbeit zur Serienentwicklung von autonomen Lkw ein.“ Denn Logistik 4.0 bietet in seinen Augen viel Potenzial: „Fahrerlose Lkw als Teil einer Hub-to-Hub-Automatisierung für Pendelfahrten zwischen Logistikhöfen könnten einen wichtigen Beitrag zu mehr Effizienz sowie zur Vermeidung von Staus und Unfällen leisten.“ Und auch für den Fahrermangel, an dem die Branche seit Jahren leidet, böten Automatisierungskonzepte einen Lösungsansatz. Schon heute fehlen in Deutschland etwa 100.000 Lkw-Fahrer.
Unterdessen ist in den USA bereits ein Anbieter mit einem vollautomatisierten Lkw-Dienst vorgeprescht: Aurora Innovation hat dieser Tage eine entsprechende Pendelroute zwischen Dallas und Houston in Betrieb genommen. Kein Pilotprojekt, sondern ein kommerzielles Unterfangen. Aurora Innovation will seine Lösung zum automatisierten Fahren (ebenfalls gemäß Level 4) mit Zulieferer Continental ab 2027 in Serie bringen.
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