Der lange Weg zum eichrechtskonformen Ad-hoc-Laden

Mit OVAL ist vor Kurzem ein Projekt zu Ende gegangen, das sehr nah an einem zentralen Kapitel der Elektromobilitäts-Historie entlang navigiert ist und das wesentlich in das aktuelle Marktgeschehen ausstrahlt. Das Projekt untersuchte, wie sich das von der EU geforderte Ad-hoc-Laden an Ladestationen und dessen eichrechtskonforme Abrechnung umsetzen lässt. Hier geht’s zur Projekt-Nachlese.

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Versetzen wir uns einige Jahre zurück: Hersteller fangen vereinzelt gerade erst an, die Elektromobilität ernst zu nehmen. Der Gesetzgeber hat die Nischen-Technologie noch kaum auf dem Schirm. Das Eichrecht spielt beim Laden keine Rolle. In dieser Gemengelage formuliert die EU 2014 eine Richtlinie, wonach das Laden an öffentlichen Ladestationen ad hoc möglich sein muss – auch ohne einen gültigen Fahrstromvertrag. Nicht verhandelbar ist also, dass Nutzer spontan laden und mit einem gängigen Kartensystem, webbasierten Zahlungssystem oder bar zahlen können.

Gleich zwei Projektteams aus dem BMWi-Technologieprogramm „IKT für Elektromobilität“ widmeten sich in der Folge den juristischen und technischen Fragen des Ad-hoc-Ladens. Während sich die Fachgruppe Recht mit den gesetzlichen Grundlagen zur Eichrechtskonformität befasste, kümmerte sich das Pilotprojekt OVAL („Ohne Voranmeldung Laden“) mit der technischen Umsetzung des Ad-hoc-Ladens. Seit dem Projektende im September 2020 bildet das im Laufe der Jahre entwickelte Speicher- und Anzeigemodul „SAM“ zusammen mit einem geeichten Stromzähler für AC- und DC-Ladesäulen eine im Markt angekommene Lösung zur Messung, Speicherung und Abrechnung des abgegebenen Ladesäulenstroms.

Bis dahin war es ein langer Weg: Das OVAL-Team – bestehend aus den Projektpartnern Compleo Charging Solutions AG (früher EBG compleo GmbH) und dem Bereich Technik + Innovation des Verbands der Elektrotechnik (VDE) – startete 2016 mit folgender zentralen Frage: Wie kann eine Lösung für öffentliche Ladepunkte aussehen, die diskriminierungsfrei bequemes und nachprüfbares Ad-hoc-Laden ermöglicht?

Die Projektmannschaft analysierte zunächst vorhandene Abrechnungssysteme und bewertete Optionen, diese Systeme mit Bezahlmöglichkeiten ohne Fahrstromvertrag zu ergänzen. Da die Betriebskosten gering bleiben sollten, schied das Bezahlen mit Bargeld als Option schnell aus. Stattdessen prüfte das Team IKT-gestützte Bezahlsysteme und filterte zwei mögliche Ansätze heraus: eine Lösung mit Fernanzeige und eine Lösung mit lokaler Anzeige, ergo eine Software- oder eine Hardwarelösung. Beides gibt es heute in Form von Systemen mit sogenannter Transparenzsoftware (forciert vom Verein S.A.F.E.) und in Form von direkt in Ladegeräten verbauten Hardware-Lösungen wie SAM.

Das OVAL-Konsortium favorisierte also letztere Variante und entwickelte daraufhin besagtes Speicher- und Anzeigenmodul. Zusammen mit einem bereits zertifizierten Stromzähler (z.B. MID) misst dieses Modul den abgegebenen Strom, zeigt die Daten danach auf einem Display an und speichert den Abgabevorgang mit Datum und Abgabemenge in der Ladesäule. Am Monatsende – oder nach Vereinbarung – erhält der E-Autofahrer die Fahrstromrechnung, aus der hervorgeht, wann welche Menge Strom zu welchem Preis nachgeladen wurde.

So weit, so einleuchtend. Inmitten des Entwicklungsprozesses ereilte das OVAL-Team im März 2017 das Eichrecht. War vor diesem Zeitpunkt noch eine Abrechnung nach Zeit erlaubt, so muss inzwischen bekanntlich auf der Basis von Kilowattstunden abgerechnet werden. Der Markt der Hersteller und Betreiber von Ladestationen sei darauf nicht vorbereitet gewesen, erinnern sich die Projektbeteiligten  – und so mangelte es sowohl an zertifizierten Messverfahren als auch an Messgeräten, die eine genaue Abrechnung der Stromabgabe an Ladestationen erlauben. Selbst heute ist die Eichrechts-Umrüstung an vielen Ladesäulen noch nicht abgeschlossen.

Das OVAL-Projektteam legte SAM darauf aus, ad hoc sowohl kilowattstunden- und minutengenau abrechnen zu können. Das Konsortium erarbeitete zunächst ein AC-Modul, danach ein DC-Modul – wobei für letzteres noch ein eichrechtskonformer Stromzähler entwickelt werden musste. Konsortialführer Compleo hat die Projektergebnisse inzwischen auf sein Geschäft übertragen und stattet alle AC- und DC-Neugeräte mit dem SAM-Modul aus. Bestehende Ladestationen des Dortmunder Herstellers können zudem nachgerüstet werden. Dank der Vorarbeit im Projekt gehört das Unternehmen zu den frühen Anbietern eichrechtskonformer Geräte im Markt.

„Wir haben die Problematik früh erkannt und an den möglichen Lösungen gearbeitet“, äußert Dr. Yusuf Günel, Projektleiter vonseiten des Konsortialführers Compleo. Gegenüber electrive.net erläutert er ergänzend im Interview, inwiefern er das im Projektnamen von OVAL fixierte Ziel „Ohne Voranmeldung Laden“ für erfolgreich umgesetzt hält.

Herr Dr. Günel, was ist eher die Herausforderung unter technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Gesichtspunkten? Die Ad-hoc-Freischaltung der Säule und des Ladevorgangs oder die Bereitstellung eines geeigneten Systems für spontanes Bezahlen?

Die Herausforderung liegt tatsächlich in der technischen Umsetzung der rechtlichen Vorgaben, die damals noch nicht definiert waren. Die meisten der im Markt angebotenen bzw. installierten Ladestationen nutzten zeitbasierte Tarife. Die gemessene Zeit fiel in der Vergangenheit nicht unter das Eichrecht. Das hat sich mit dem Inkrafttreten der neuen Mess- und Eichverordnung (MessEV) verändert. Im Jahr 2017 wurde ein neuer Arbeitskreis (DKE 461.02.21) gegründet, um die Anwendungsregeln nach gesetzlichen Vorgaben zu entwickeln. Diese Entwicklung hat sehr viel Zeit und Aufwand in Anspruch genommen, da keine beispielhaften Lösungen bestanden. Die definierten Spezifikationen müssen in das Bezahlsystem umgesetzt und nach nationalen Konformitätsregeln geprüft und zertifiziert werden.

Das Online-Bezahlen eines Ladevorgangs ohne Vertragsbindung funktioniert auch heute schon vielerorts – in der Regel mit Smartphone und Kreditkarte bzw. PayPal. Warum brauchen wir weitere Bezahlmethoden?

Im Rahmen des OVAL-Projekts haben wir eine Studie bezüglich des Verhaltens der Verbraucher durchgeführt. Dort haben wir festgestellt, dass die Verbraucher in Deutschland beim Einkauf immer noch deutlich lieber Bargeld nutzen. Da das Bezahlen eines Ladevorgangs mit Bargeld nicht praktisch ist, möchten wir mehrere Bezahlmöglichkeiten anbieten. Die technische Umsetzung der Bezahlmethoden müssen die Anforderungen des Eichrechts erfüllen.

Compleo hatte im Rahmen des Projekts die Aufgabe, verschiedene Bezahlsysteme in die Praxis umzusetzen – und zwar unter anderem in einer Pilotanlage in Hilden. Was können Sie uns dazu sagen?

Im Rahmen des OVAL-Projekts haben wir zusammen mit unserem assoziierten Partner GLS Bank unter dem Namen Giro-e eine Bezahlmethode entwickelt und in die Ladestationen integriert. Der Kunde kann an der Ladestation wie beim Einkauf im Supermarkt mit der Girokarte kontaktlos bezahlen. Eine solche Ladestation mit integrierter Giro-e-Bezahlmethode haben wir in Hilden installiert und dort erprobt. Da die erste Lösung mit bestimmten Bankkarten umgesetzt wurde, kann man aktuell nur mit der GLS-Bankkarte bezahlen. Wir werden perspektivisch jedoch auch andere Girokarten und digitale Bezahlsysteme implementieren.

Als Elektroauto-Nutzer will ich mir auf grenzüberschreitenden Fahrten keine Sorgen um den Stromnachschub machen müssen. Wie lässt sich das Problem der Internationalisierung von Ad-hoc-Bezahlsystemen lösen?

Aktuell gibt es kein einheitliches System in der EU. Es besteht jedoch die Möglichkeit für die Elektroautofahrer, ohne eine Voranmeldung durch Roaming-Plattformen das Auto zu laden. Die Voraussetzung ist, dass der Anbieter bzw. Betreiber der Ladeinfrastruktur mit einer Roamingplattform einen Vertrag abschließen muss. Ein ausländischer Anbieter muss die Ladeinfrastruktur natürlich nicht nach dem deutschen Eichrecht zertifizieren. Wir erwarten jedoch auch in anderen Ländern der EU die Einführung ähnlicher Regeln.

Ab diesem Jahr sollen erste Ladesäulen Plug&Charge anbieten. Wie wird sich die Einführung dieser automatisierten Lade- und Bezahlfunktion künftig auf das Verhältnis von Vertrags- zu Ad-hoc-Ladevorgängen auswirken?

Wir erwarten, dass künftig Plug&Charge flächendeckend angeboten wird sowie die Möglichkeit zum Ad-hoc-Laden sehr vereinfacht. Um die Funktion, die ein Teil des ISO 15118-Kommunikationsprotokoll ist, zu nutzen, ist auch die Integration des Protokolls in sowohl der Ladeinfrastruktur als auch in Elektrofahrzeugen notwendig. Allerdings wird die Umsetzung und der Roll-Out der Funktion noch einige Zeit in Anspruch nehmen, da die notwendige Hard- und Software noch fehlen.
Aktuell findet man ähnliche Lösung bei Tesla-Nutzern, die mit der Funktion sehr zufrieden sind.

Und ihr Fazit? Ist das Ad-hoc-Laden nun zufriedenstellend umgesetzt?

Ja, wir sind in der Lage, unseren Kunden eichrechtskonforme Ad-hoc-Lademöglichkeiten anzubieten, die wir im Rahmen des OVAL-Projekts entwickelt haben. Also haben wir das Ziel des „Ohne Voranmeldung Laden“ erfolgreich erreicht. Die Entwicklung des SAM war einer der wichtigsten Meilensteine in dem Projekt. Wir haben damit eine große Hürde für die Weiterentwicklung des Elektromobilitätsmarktes abgebaut. Nach der Entwicklung des SAM konnten wir im öffentlichen Bereich AC-Ladestationen mit eichrechtskonformen Stromzählern installieren. Um auch eichrechtskonforme DC-Ladestationen installieren zu können, haben wir ebenfalls im Rahmen des OVAL-Projekts zusammen mit dem Firma EasyMeter einen DC-Stromzähler entwickelt. Damit ist Compleo der erste Anbieter eichrechtskonformer DC-Ladestation in Deutschland.

Quelle: Infos per E-Mail

1 Kommentar

zu „Der lange Weg zum eichrechtskonformen Ad-hoc-Laden“
Tobias
07.12.2020 um 11:27
Wir brauchen endlich OFFENE Lösungen. Die Partnerschaft hinsichtlich Giro-Bezahlung ist ja ein Schritt in die richtige Richtung, aber wieder werden Barrieren errichtet. Sowohl Ladende, als auch die Betreiber brauchen ein (Geschäfts-)Konto bei der GLS - nicht praktikabel!Die Logik des Ladekartenzwangs (welches durch Ad-hoc-Laden umgangen werden soll) wird analog auf Girokarten angewendet. Wenn ich im Supermarkt einkaufen gehe, werde ich doch auch nicht abgelehnt, weil ich ein Konto bei der Sparkasse habe.

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