Sinosynergy stellt ersten FCEV-Reisebus vor

Fast immer, wenn von Wasserstoff in der Nutzfahrzeugwelt gesprochen wird, geht es um Stadtbusse. Jetzt ist für den europäischen Markt der erste FCEV-Reisebus da. Still und leise vorgestellt und schon homologiert soll das Fahrzeug aus China ab sofort dazu beitragen, den Weg zur CO2-Neutralität zu ebnen.

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Keine Frage, die Wasserstofftechnologie hat Potenzial und lässt uns Mobilität neu und ganzheitlich denken. Ob Produktion des Energieträgers, die Antriebstechnologie oder die Tankinfrastruktur, nicht nur die Buswelt ist im Wandel. Immer mehr Bushersteller nehmen die Brennstoffzellentechnologie in ihr Programm auf. Wasserstoff beim Stadtbus ist keine neue Erfindung, Mercedes-Benz experimentiert in diesem Bereich seit 2002 mit Fahrerprobern auf Citaro-Basis, Van Hool baut seit 2005 FCEV-Stadtbusse in einer Kleinserie.

Während man vor vier Jahren noch Nutzfahrzeuge mit alternativen Antrieben suchen musste, sind sie seit der IAA Transportation scheinbar omnipräsent. 2022 kann es sich kein Hersteller mehr leisten, auf E-Mobilitätslösungen zu verzichten. Lange Betriebszeiten und oder hohe Leistungen sind im Nutzfahrzeugbereich gefragt. Wenn Batterien an ihre (Leistungs-)Grenzen kommen, soll die Brennstoffzelle die Lösung sein. Eine kleine Nische scheinen Verbrennungsmotoren zu werden, die Wasserstoff als Treibstoff nutzen.

In der Welt der Omnibusse boomen alternative Antriebe, allen voran Batterie-elektrische Antriebe. Auch der Busverkehr soll sauberer werden. Das befeuert die Nachfrage nach BEV- und Brennstoffzellen-Fahrzeugen. In der Welt der Omnibusse sind es die Stadtbusse, bei denen sich das Thema Brennstoffzelle neben BEV-Fahrzeugen behaupten kann.

Aber auch der Wasserstoff-Bus nimmt Fahrt auf, wie Chatrou CME Solutions in der Marktübersicht alternativer Antriebskonzepte nachgewiesen hat. 2020 wurden bei den Omnibussen mit alternativen Antrieben (Hybrid-, CNG-, Elektro- und FuelCell-Busse) 8.338 Fahrzeuge neu zugelassen, in 2021 waren es in Summe 9.813 Fahrzeuge. Den größten Zuwachs erlebten Fuel-Cell-Busse: Nach 47 in 2020 wuchs deren Bestand in 2021 auf 158 Fahrzeuge!

FCEV-Busse sind in der Serienreife angekommen

Und im ersten Halbjahr 2022 hat Chatrou CME Solutions insgesamt schon 49 Neuzulassungen in diesem Segment nachgewiesen. Nachdem die Technik jahrelang vor allem im Rahmen von Forschungs- und Pilotprojekten auf der Straße erfahren werden konnte, scheint die Zeit der Serienreife gekommen. Das hat auch Solaris mit dem kürzlich vorgestellten Urbino 18 hydrogen gezeigt, der ab dem zweiten Quartal 2023 dann in Serie ein Teil der Produktion in Blochewo sein soll.

Aber die deutschen Bushersteller profitieren bislang nicht von dem kleinen FCEV-Boom. Weder Daimler noch die VW-Tochter Traton mit den Marken MAN und Scania können aktuell einen serienreifen Bus mit Brennstoffzelle liefern. Entsprechende Versuchsträger gab es, aber wirklich auf die Straße und den realen Linieneinsatz hat es die Technik bei beiden Herstellern noch nicht geschafft. Und das, weil bei Daimler und Traton scheinbar lange Zeit noch Unklarheit über den richtigen Weg zur lokalen Emissionsfreiheit herrschte. Traton setzt dabei heute noch auf den Batterie-Antrieb, während sich Daimler nun gemeinsam mit Volvo parallel auch der Brennstoffzelle widmet.

Es ist die Technik und auch die Busse aus Asien, Nordamerika und auch weniger Anbieter aus Europa, die gefragt ist. Den ersten für Europa homologierten Reisebus mit Brennstoffzellenantrieb hat Sino-Synergy Hydrogen Technology Co., Ltd. (kurz Sinosynergy) aus – man ahnt es – China präsentiert.

Unauffällige Premiere auf der IAA Transportation

Dass die Premiere des ersten FCEV-Reisebusses für Europa auf den ersten Blick gar nicht auffällt, liegt an Marcopolo, einem weltweit agierenden Bushersteller aus Südamerika. Die Brasilianer produzieren weltweit ihre Omnibusse, bis auf Chassis und Motoren sind sie auch im Reich der Mitte aktiv, was vielleicht die Kooperation mit Sinosynergy erklärt.

Statt eines konventionellen Chassis der bekannten Lieferanten wie beispielsweise von MAN, Scania oder Volvo ist diesmal kein Verbrenner samt Chassis als Grundlage verwendet worden. Der von Sinosynergy als „Hydrogen Fuel Cell Journey Coach“ bezeichnete Reisebus wird zusammen mit Marcopolo auf Grundlage des Modells Audace 1050, dessen Aufbau in China entsteht, produziert.

Sinosynergy liefert die Brennstoffzellentechnologie, einschließlich Membranen und Brennstoffzellenantrieb, und Allenbus in Kooperation mit Feichi Bus Allenbus (beides chinesische Bushersteller und mit FCEV-Fahrzeugen am Markt) das Chassis des Busses. Danfoss steuerte den Antriebsmotor (Synchron-Permanentmagnet), den Batteriespeicher und die Technik für die Energieumwandlung bei.

Weil der Markt der FCEV-Fahrzeuge in Europa politisch gewollt stark wachse und weiter an Bedeutung gewinne, habe man den „Hydrogen Fuel Cell Journey Coach“ auch eine Serie speziell für den europäischen Markt in Übereinstimmung mit den EU-Normen entwickelt und hier homologieren lassen, hieß es seitens Sinosynergy auf der Messe in Hannover.

Was steckt unter dem Blechkleid? electrive.net hat sich die technischen Details von Sinosynergy in einem Gespräch darlegen lassen: Der Marcopolo Audace mit 12 Metern Länge (lieferbar sind auch 11,9 Meter, 12,3 Meter oder 12,6 meter) fährt mit einem Radstand von 6,10 bis 6,65 Metern sowie einer Breite von 2,5 Metern und Höhe von 3,7 Metern vor.

Der Antriebsmotor hat eine Nennleistung von 143 kW (Spitzenleistung: 235 kW) und ein Nenndrehmoment von 495 Nm (Spitze: 720 Nm). Die Brennstoffzelle von Sinosynergy (Typ G80-001) wird mit vier CATL LiFeO Speicherbatterien (Lithium-Eisenphosphat-Bauart) ergänzt. Vier Wasserstofftanks (aktuell noch für 700 bar ausgelegt) im Gepäckraum des Omnibusses halten den Wasserstoff vor.

Viel Technik von deutschen Zulieferern, Brennstoffzelle und Batterie aber aus China

Als Vorderachse greifen die Chinesen auf ein Fabrikat von ZF (Typ RL82EC) zurück, bei der angetriebenen Hinterachse ist es auch ZF (Typ AV133). Auch das Automatikgetriebe (Typ THP90) stammt von ZF. Die Luftfederung sowie die Bremstechnik mit EBS, ESP, AEB, LDWS stammt von Knorr.

Zusammen mit lokalen Partnern plant Sinosynergy nun, den Reisebus nicht nur auf dem europäischen, sondern auch südostasiatischen und amerikanischen Markt anzubieten. Bis zu 53 Passagiere können mitfahren, die Ausstattung des Fahrgastraumes erfolge individuell nach Kundenwunsch.

Und der Preis? Hier zielten sich die anwesenden Vertreter von Sinosynergy zunächst zurück, erst bei genannten Vergleichspreisen zu FCEV-Linienbussen europäischer Anbieter wurde zögerlich gesagt, dass der Grundpreis zur Zeit (die Serien- und damit Massenproduktion habe noch nicht bekommen) unter 500.000 Euro liegen, genaue Preise würde man nur in Abhängigkeit der konkreten Fahrzeugausstattung dem Käufer nennen.

Die Reichweite gibt Sinosynergy mit bis zu 600 Kilometern an, zum Tanken werden fünf Minuten benötigt. Je nach Einsatz seien dann vier bis sieben Zylindertanks mit Wasserstoff (mit 700 bar) an Bord. Der Gepäckraum ist dann weitgehend mit Technik belegt, es werden aber zwei bis zehn Kubikmeter Stauraum auf jeden Fall verbleiben, wie es hieß.

Auch eine BEV-Version des Reisebusses ist geplant

Alternativ zum FCEV-Antrieb ist auch eine Batterie-elektrische Lösung im Angebot, wie der chinesische Anbieter erklärte. Der Marcopolo Audace als BEV soll mit sogenannten Powerbatterien (12 Packs, auch wieder von CATL) mit 423 kWh und mit einer garantierten Reichweite von bis zu 400 Kilometern unter städtischen Bedingungen angeboten werden. Genaue Angaben zu „städtischen Bedingungen“ machten die Chinesen nicht, ein Standardized on Road Test (SORT) sei nicht durchgeführt worden. Interessantes Detail: Statt wie beim FCEV auf ZF setzt man beim BEV-Reisebus auf das Eaton Viergang-Getriebe, Drehmoment und auch Steigfähigkeit können stark ansteigen. Eine im wahrsten Sinne spannende Kombination!

Cynthia Zhu, Geschäftsführerin von Sinosynergy: „Als Pionier im Bereich der FCEV-Antriebskonzepte setzen wir uns dafür ein, Wasserstofftechnologie weltweit voranzutreiben. Unser Eintritt in den europäischen Markt auf der IAA Transportation 2022 ist ein wichtiger Meilenstein für uns und erfolgt nach 5.000 Antrieben in Fahrzeugen, die sich im Alltag behauptet haben.“

Sinosynergy erklärt auf Nachfrage, dass die mit den Brennstoffzellen ausgerüsteten Fahrzeuge bisher über 200 Millionen Kilometer zurückgelegt hätten und in mehr als 40 Städten weltweit im Einsatz wären. Das chinesische Unternehmen verspricht für eine Lebensdauer von bis zu 30.000 Stunden beim Einsatz in Nutzfahrzeugen.

Zu potenziellen Kunden schweigt Sinosynergy

Konkretes zu einem ersten Kunden oder der Zulassung in Europa gab es trotz Nachfrage aber nicht. Zunächst sei es Sinosynergy wichtig, am Markt bekannt zu werden. Auch zum Thema After-Sales und Service hielt sich der chinesische Anbieter bedeckt. Anders sieht es bei Caetano, Solaris oder Wrightbus aus. Die Auftragslage bei Wasserstoff-Bussen sei gut, wie die drei Hersteller unisono auf Nachfrage erklärten. Solaris gibt sich anlässlich der Weltpremiere des 18 Meter langen Urbino hydrogen ganz offen und teilt voller Stolz mit, dass man einen Auftragsbestand von über 100 FCEV-Fahrzeugen habe.

Auch wenn die Lagerung und Betankung noch Hürden sind, die im Nutzfahrzeugbereich zu meistern sind, immer mehr kristallisiert sich heraus, dass sich im Busbereich der gasförmige Wasserstoff in Konkurrenz zum Flüssigwasserstoff durchsetzt. Der Grund ist eine weitere Hürde: Flüssiger Wasserstoff muss bei minus 253 Grad gelagert werden, was dann noch einmal mehr Aufwand und Technik für den Betreiber von FCEV-Fahrzeugen bedeutet.

Bei aller Euphorie sollte man nicht vergessen, technologieoffen zu sein. Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) geht nach heutigem Stand davon aus, dass es in den nächsten 20 bis 30 Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit unterschiedliche Antriebsvarianten geben wird. Und auch bei den Herstellern wie beispielsweise Daimler Buses ist man sich sicher, dass die BEV-Busse weiter boomen werden.

Nicht nur, weil der Strom für die Batterien derzeit im Vergleich zu Wasserstoff im Preis günstiger für den Betreiber einzukaufen ist. Ganz optimistisch geben sich die Ingenieure, dass die Batterieentwicklung ganz zügig erhebliche Fortschritte machen wird, was die Energiedichte bei gleicher oder sogar kleiner Batteriegröße betrifft. Und das weiß man auch im Reich der Mitte, denn nicht ohne Grund hat man bei Sinosynergy zum FCEV-Reisebus auch einen BEV-Ableger im Angebot.

Autor: Rüdiger Schreiber

1 Kommentar

zu „Sinosynergy stellt ersten FCEV-Reisebus vor“
John
11.10.2022 um 14:46
... Und das weiß man auch im Reich der Mitte, denn nicht ohne Grund hat man bei Sinosynergy zum FCEV-Reisebus auch einen BEV-Ableger im Angebot.Komisch, die Argumentation war doch bisher immer andersherum?

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