Brennstoffzelle im Gütertransport vor dem Durchbruch?!

Ob Transporter oder Truck – wenn es um das Bewegen von Gütern geht, bekommt die Brennstoffzelle ihre Chance. Über die Perspektiven der Elektromobilität mit Wasserstoff haben wir am 14. Dezember mit acht Experten vor über 500 digitalen Gästen in unserer Online-Konferenz diskutiert. Fazit: Der Schwerlastverkehr wird die Brennstoffzelle als Komplementärtechnologie definitiv und in großem Maßstab nutzen. Hier ist der Konferenzbericht.

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Bestenfalls ein mitleidiges Lächeln: Wer 2018 auf der IAA Nutzfahrzeuge von Elektro- statt Dieselmotoren für schwere Lkw redete, konnte auch beißenden Spott ernten. Jetzt aber ist alles anders. Niemand fragt mehr, ob wir in Zukunft elektrisch fahren. Offen ist dagegen, in welchem Segment und in welchem Szenario Nutzfahrzeuge mit Strom aus Brennstoffzellen als Alternative zum Strom aus Batterien unterwegs sind.

Anders als im Pkw gibt es bei Nutzfahrzeugen aller Art viele Initiativen für den Verkehr mit Wasserstoff-betriebenen Brennstoffzellen. Etablierte Player und Startups haben sich auf den Weg gemacht, um die Entwicklung der Antriebe selbst sowie die der Infrastruktur voranzutreiben.

Welche Aspekte treiben die Branche um? Welche technologischen Unterschiede gibt es? Und wo stehen wir wirklich bei der Elektromobilität mit Wasserstoff und Brennstoffzelle? Das ist der Fokus von „electrive.net LIVE“.

e-mobil BW GmbH

Alina Richter und Franz Loogen von der e-mobil BW GmbH eröffnen den Tag. Geschäftsführer Loogen macht zuerst auf ein Grundproblem aufmerksam: Der Verkehrssektor wird die CO2-Minderungsziele kurzfristig nicht erreichen. Ein gutes Drittel der Emissionen wird hier durch Nutzfahrzeuge freigesetzt.

Loogens These: Die Elektromobilität mit Brennstoffzellen ist ein elementarer Bauteil bei der Dekarbonisierung des Verkehrs. Hierzu wird Deutschland auch auf Importe von grünem Wasserstoff angewiesen sein; sie werden Teil der kommenden H2-Wirtschaft.

Die Kosten für die Infrastruktur und die Fahrzeuge müssten noch deutlich sinken, so Loogen. Er ist trotzdem zuversichtlich, dass eine Skalierung sinnvoll machbar ist. In Baden-Württemberg jedenfalls gibt es etliche Unternehmen und Institute, die daran arbeiten.

Alina Richter, Referentin für Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologien, stellt im Anschluss die Akteure aus Baden-Württemberg vor. Ein Kern sind das Cluster Wasserstoff und die Plattform H2BW, in denen sich 216 Partner vernetzen.

Im Cluster sind viele Themen zusammengefasst, die weit über die Fahrzeuge selbst hinausgehen – es gibt Arbeitsgruppen zur Erzeugung und Infrastruktur, zur Weiterbildung und mehr. Auch die Wissenstransformation ist ein wichtiges Tool für Unternehmen.

Die Stimmung, so Richter auf Nachfrage, sei der Energiekrise zum Trotz äußerst zuversichtlich.

IFEU Heidelberg

Julius Jöhrens forscht am IFEU (Institut für Energie- und Umweltforschung) Heidelberg an H2-Trucks. Er möchte die systemische Perspektive einbringen: Warum brauchen wir eigentlich die Brennstoffzellentechnologie im Verkehrssektor?

Ein Treiber der Dekarbonisierung ist die EU-Vorgabe, die CO2-Emissionen für schwere Nutzfahrzeuge bis 2030 um 30 Prozent zu reduzieren. Der Klimaschutz erzwingt die Elektrifizierung.

Jöhrens macht klar, dass Deutschland beim Schwerverkehr zum Erreichen der CO2-Ziele einen radikalen Pfad einschlagen muss. Der Zeitdruck ist groß. Clean Room-Gespräche mit den Herstellern haben ergeben, dass 2030 etwa 15 Prozent der Neufahrzeuge Brennstoffzellen-elektrisch unterwegs sind.

2030 wird aus Sicht von Jöhrens beim deutschen Strommix nur eine geringe CO2-Reduzierung durch H2-Lkw umsetzbar sein, und auch die Kosten würden nicht schnell genug sinken. Wir brauchen einen anderen Energiemix, nämlich einen grünen. Wirtschaftlich konkurrenzfähig zum Diesel könne die Brennstoffzellen-Lkw 2030 noch nicht sein, vermutet Jöhrens.

Robert Bosch GmbH

Thomas Wintrich von der Robert Bosch GmbH referiert zu den Lösungen, die das Unternehmen bei Brennstoffzellen anbietet: „Wir bringen die Fuel Cell in die Serienanwendung.“ Für uns, so Wintrich, ist das ein großer Schritt.

Bosch entwickelt unter anderem die wesentlichen Komponenten des Systems weiter, also zum Beispiel den Verdichter. Inzwischen hat das Unternehmen 500 Testfahrzeuge in China laufen, und auch Nikola kauft Bauteile bei Bosch.

Anders als der Vertreter des IFEU rechnet Wintrich Szenarien vor, die in jeder Hinsicht für Brennstoffzellen- statt Batterie-elektrischen Antrieb sprechen. Entscheidend hierfür sind zum einen die Kosten für (importierten) Wasserstoff und zum anderen jene für die Rohstoffe bei Batterien, die derzeit stark ansteigen. Um den Preis von Wasserstoff zu senken, ist die Ergänzung des bestehenden umfangreichen Pipelinenetzes in Europa und der Anschluss an Nordafrika notwendig.

Bosch bietet neben dem Tank oder dem Wasserstoffventil das eigentliche Power Modul an, also die Verbindung der Stacks und der Komponenten zum Gesamtsystem. Das Format des 216 kW starken Power Moduls wurde so gestaltet, dass es in den Bauraum heutiger Verbrennungsmotoren passt.

„Besonders asiatische Firmen freuen sich über das Power Modul“, so Wintrich. Zur Produktion betreibt Bosch in Deutschland drei Werke, und auch in China und den USA erfolgt der Hochlauf.

Selbst die Stacks, das Basiselement der Brennstoffzelle, produziert Bosch in Eigenregie. Die Produktionsabläufe für das Power Modul werden derzeit schrittweise optimiert. Bosch ist längst dabei, den Brennstoffzellen-elektrischen Antrieb in die Breite zu bringen. Man arbeitet bereits an der nächsten Generation: Mehr Leistung, bessere Abstimmung, und die Verbreitung in der Sprinter-Klasse bis 3,5 Tonnen sind das Ziel.

Daimler Truck AG

Benjamin Reuter berichtet über den Fortschritt für die Nutzung von verflüssigtem Wasserstoff beim Brennstoffzellen-elektrischen Antrieb in der Daimler Truck AG. Das Spektrum der Nutzungsprofile bei den Spediteuren sei sehr breit und individuell, so Reuter. Das ist auch der Grund, warum nicht für jede Anwendung und weltweit der Batterie-elektrische Antrieb als Lösung passt.

Die Daimler Truck AG wird mit dem eActros LongHaul und mit dem GenH2 Truck sowohl Batterie- als auch Brennstoffzellen-elektrische Zugmaschinen anbieten, wobei die Reichweite des GenH2 mindestens doppelt so groß ist wie die des eActros.

Das stärkste Argument für die Verwendung von verflüssigtem Wasserstoff statt der bekannten 700 bar-Speicherung ist das geringere benötigte Bauvolumen der Tanks; es ist nur etwa halb so hoch. „Es geht nicht nur darum, ein Fahrzeug möglichst lange ohne Stopp zu fahren. Es geht auch im Flexibilität für die Kunden“, so Reuter.

Der verflüssigte Wasserstoff kann zusätzlich tiefgekühlt werden (abgekürzt sLH2 für subcooled liquified hydrogen). Der Boil-off, das langsame Verdampfen des kalten Wasserstoffs aus dem Tank heraus, sieht Reuter nicht kritisch, weil Lkw direkt nach der Betankung weit gefahren werden und wenig Standzeit haben. Mit dieser sLH2-Technologie sinken auch die Kosten, weil die Tanks deutlich preisgünstiger sind und die Nutzlast steigt.

Linde AG

Über die Tankstellen-Perspektive des verflüssigten tiefgekühlten Wasserstoffs berichtet Thomas Acher von Linde: Die Betankungszeit kann weiter auf zehn bis 15 Minuten verkürzt werden. 400 bis 500 kg H2 pro Stunde können vertankt werden, wobei ein Lkw circa 80 kg fasst.

Daimler Truck und Linde standardisieren unterdessen das Tanken von tiefgekühltem verflüssigten Wasserstoff nach ISO.

In der Tankstelle, so Acher, ist es anders als bei der gasförmigen Betankung nicht notwendig, das Gas in einem Speicher unter Druck vorzuhalten und nachzuverdichten. Das macht den Aufbau simpler, platzsparender und kostengünstiger. Der Energiebedarf bei der Betankung (nicht bei der Verflüssigung) ist 30 bis 50-mal niedriger, wenn tiefgekühlt verflüssigt getankt wird. Und auch eine Back-to-Back-Einschränkung gibt es nicht; es können etliche Fahrzeuge direkt hintereinander betankt werden.

Reuter und Acher zeichnen nochmal das Potenzial von verflüssigtem Wasserstoff fürs Weltenergiesystem nach: Schon der Transport per Schiff könnte – ähnlich wie jetzt bei Erdgas – flüssig erfolgen. Die Effizienz ist höher als bei gasförmigem Wasserstoff. Die Verflüssigung ist allerdings sehr energieintensiv; dieser Prozess sollte zu Beginn der Kette in einem Land stattfinden, wo Energie preisgünstig ist.

Quantron AG

Jochen Bauer stellt die Quantron AG vor. Er erklärt das Ökosystem von Quantron. Das Unternehmen hat vor drei Jahren angefangen, bestehende Nutzfahrzeuge mit Brennstoffzellen-Antrieben zu elektrifizieren („Retrofit“). Jetzt nennt sich Quantron OEM light, das heißt, man übernimmt die Teilfertigung von fabrikneuen Brennstoffzellen-elektrischen Bussen und Nutzfahrzeugen.

„Wir verstehen uns als Brückenanbieter“, so Bauer, „wir füllen die akute Lücke, die von den großen Herstellern zurzeit gelassen wird“. Anschließend, und das ist das zukünftige Geschäftsmodell, will Quantron mobility as a service anbieten: Zum festen Kilometerpreis wird das Unternehmen Lkw vermieten.

Die Vision des Unternehmens ist es, saubere Mobilitätslösungen bereitzustellen. Quantron sieht ein großes Potenzial im Aufbau von H2-Infrastruktur – ein weiteres Geschäftsfeld. Das ist einer der Gründe, warum man ausschließlich auf Wasserstoff-Antriebe setzt.

Ähnlich wie GP Joule wird auch Quantron den Kunden die Möglichkeit zum Aufbau von H2-Tankstellen auf dem Firmengelände bieten. Das ist Teil der Gesamtlogik von mobility as a service, oder wie es bei hier genannt wird, Quantron as a service. Moderator Peter Schwierz spitzt zu: Das Google des Güterverkehrs mit Brennstoffzelle.

NOW GmbH

Den Abschluss am Konferenztag macht Johannes Daum von der NOW GmbH. Er ist Bereichsleiter für die Wasserstoff-Betankungsinfrastruktur bei der NOW.

Die NOW GmbH ist ein Unternehmen des Bundesverkehrsministeriums und denkt klimaneutrale Antriebe technologieoffen.

„Die Entwicklung hin zu klimaneutralen Nutzfahrzeugen geht viel dynamischer voran, als wir in der Vergangenheit vermutet hatten“, sagt Daum. Eine gute Nachricht. Viele Unternehmen sind „überaus aktiv“, so Johannes Daum, es wird nach 2025 einen steilen Hochlauf an Brennstoffzellen-Lkw geben, der sich ab 2030 nochmals verstärken wird.

Der Staat bietet Förderungen an, die auch über die NOW koordiniert werden. Um klimafreundliche Nutzfahrzeuge zu etablieren, ist die Infrastruktur besonders wichtig – und für beides fließen Subventionen.

„Der Bedarf nach Brennstoffzellen-elektrischen schweren Lkw steigt bereits deutlich an“, berichtet Daum aus der Praxis. Die Förderaufrufe sind überzeichnet. Das Interesse der Spediteure sei sehr groß, so Daum.

Ein wichtiger Aspekt für die Infrastruktur ist die Aufrüstung bestehender H2-Tankstellen für Lkw. Viele sind bisher lediglich für Pkw ausgelegt. Das ändert sich, und das Konsortium H2-Mobility treibt das voran.

Typisch für den Kosmos des Schwerlastverkehrs sind auch Tankstellen auf Betriebshöfen. Es wird häufig auf bekannten und planbaren Routen gefahren. Die NOW fördert diesen privaten Aufbau. Das wichtigste Ziel bleibt dennoch, ein Grundnetz öffentlicher H2-Tankstellen für Lkw schnell zu errichten.

Fazit

Während die Brennstoffzellen-elektrischen Pkw ein Orchideendasein führen, erleben die Wasserstoff-betriebenen Lkw einen Boom. Der Schwerlastverkehr wird die Brennstoffzelle als Komplementärtechnologie definitiv und in großem Maßstab nutzen. Wenn sich der Antrieb verbilligt, könnte auch wieder der Rückweg in kleinere Fahrzeugklassen wie die Transporter bis 3,5 Tonnen stattfinden. Dieser Trend ist international ablesbar, insbesondere in China.

Zeitgleich mit dem Hochlauf der Fahrzeugproduktion muss die Infrastruktur mithalten. Hier ist noch nicht final geklärt, ob Wasserstoff mit 350 oder 700 bar gasförmig oder verflüssigt getankt wird oder alles zusammen. Für jede Lösung gibt es Argumente.

Die besondere Qualität des Wegs zum Brennstoffzellen-elektrischen Güterverkehr ist die Geschwindigkeit des Umschwungs. Dort, wo vor wenigen Jahren noch nichts anderes als der Dieselmotor vorstellbar war, wird radikal und pragmatisch umgedacht. Weg von fossilen Ressourcen, hin zu mehr Klimaschutz.

7 Kommentare

zu „Brennstoffzelle im Gütertransport vor dem Durchbruch?!“
Sepp Mayr
19.12.2022 um 21:44
Forschung ist gut, wichtig für den Fortschritt, aber der Wasserstoff Traum bremst den Energie Umbau auf effiziente Öko Energie aus, forschen ja, aber nicht den jetzt verfügbaren Fortschritt verhindern.
Der Statistiker
20.12.2022 um 09:03
Bei einer Online-Konferenz, wo ausschließlich Vertreter der H2 Wirtschaft eingeladen wurden, könnte man bereits im Vorfeld einen "Boom" hin zu Wasserstoff-LKW vermuten...Ich denke, dass bei der Entwicklung von Akkus noch sehr viel Spielraum nach oben ist. Dagegen sind die H2-Fortschritte, die sich zweifellos noch in den nächsten Jahren erforschen lassen, wohl eher gering. So werden vermutlich der H2-LKW und der H2-Bus nur Nischenprodukte bleiben.
Rene
20.12.2022 um 15:24
Und wer garantiert uns, dass hier nicht grauer Wasserstoff aus Erdgas zum Einsatz kommt? Ach ja, in der Übergangszeit brauchen wir den ...Was für ein Irrweg der Ineffizienz und Ressourcenvergeudung!
Mark Müller
20.12.2022 um 21:27
Nehmen wir als Vergleich einen typischen Tesla: Wird - inkl. Batterie - in China mit Energie aus Kohlestrom produziert, auf einem Schiff mit Schweröl nach Deutschland geschippert, dort vom deutschen Steuerzahler mit 6'000 subventioniert, und läuft dann in Polen wieder mit fast 100% Kohlestrom.
Der Statistiker
21.12.2022 um 10:34
Bei BEVs habe ich in bereits in vielen Ländern die Möglichkeit fossilfrei zu fahren. Außerdem gibt es viele Besitzer, die auch eine PV am Dach haben. Bei H2 Fahrzeugen tanke ich zur Zeit, und wohl auch in naher Zukunft, quasi NUR grauen H2!Und wenn es einmal grünen H2 gibt wird der dringend in der Industrie und bei Schiff und Flugzeug gebraucht werden, denn dort gibt es fast keine Alternativen. Bei der Straße schon!
Mark Müller
20.12.2022 um 21:23
Wer garantiert uns, dass bei einem BEV keine fossile Energie zum Einsatz kommt?
Eride
20.12.2022 um 22:48
Wer hätte bei diesen Referenten gedacht, dass Wasserstoff nicht DIE Zukunftstechnologie für Güterverkehr ist? :)Technisch zwar Interessante, aber auch sehr komplexe Technik. Bin gespannt wo die Reise bei Wasserstoff noch hingeht. Lobbyismus wird ja genügend dafür betrieben. Mal sehen was passiert wenn die EU den Geldhahn zudreht.

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