Nächster DVB-Zwischenhalt: 1 Million elektrische Kilometer

Nach mehreren Test-Jahren haben die Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB) im vergangenen Sommer 20 E-Busse beschafft – und damit die über kurz oder lang wartende Herausforderung der Flotten-Umstellung eingeleitet. Um Ostern dürften die E-Busse in Dresden 1 Million Kilometer abgespult haben. Wie es bisher läuft – beziehungsweise rollt –, haben wir beim DVB-Projektverantwortlichen Rico Seipel erfragt.

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Seit Sommer 2022 sind bei den Dresdner Verkehrsbetrieben 20 Mercedes-Benz eCitaro im Streckennetz unterwegs – 18 elektrisch angetriebene Gelenk- und zwei Solobusse. Während die Gelenkbusse die durch die Innenstadt führende Linie 68 zwischen Goppeln und Niederwartha bedienen, ist das Solobus-Duo auf der Buslinie 81 zwischen Wilschdorf und Bahnhof Neustadt unterwegs, die die DVB gemeinsam mit der Verkehrsgesellschaft Meißen unterhält.

Die Elektrobusse erhalten nachts im Betriebshof über Ladehauben unter der Hallendecke ihre Grundladung. Weil sie aber täglich zwischen 250 und 450 Kilometern fahren, wird an drei Endpunkten – Leubnitzer Höhe, Bahnhof Cossebaude und in Wilschdorf – per Opportunity-Charging nachgeladen. Während die nächtliche Ladung der Busse im Betriebshof mit maximal 150 kW erfolgt, wird an den Endpunkten mit bis zu 300 kW zwischengeladen. Technikpartner bei den Ladegeräten ist der inzwischen von Shell übernommene Hersteller SBRS.

Herr Seipel, in Dresden waren Sie gegenüber alternativen Antrieben schon früh offen. So gibt es schon jahrelang Hybridbusse in der Flotte. Mit den nun angeschafften reinen E-Bussen haben Sie nicht nur Diesel-, sondern auch Hybridbusse ersetzt. Warum?

Ja, wir hatten in Dresden schon sehr verschiedene Antriebe. Bekannt für ihre Straßenbahnen gab es während der DDR-Zeit in den 70er Jahren zum Beispiel eine Zeitlang auch O-Busse. Aber Sie fragten nach den ausgemusterten Hybridbussen: Sie stammen aus den Jahren 2010/2011 und haben einfach das Ende ihrer Nutzungszeit erreicht. Sie haben uns geholfen, Erfahrungen zu sammeln. Das geschah teils auch in wissenschaftlich begleiteten Projekten. Wir betrachten die Hybridtechnologie inzwischen als Brückentechnologie. Durch die Dynamik der letzten Jahre haben die Hersteller ihre Modelle ja auch oftmals nicht länger als drei, vier Jahre gebaut. Es war deshalb teilweise sehr schwierig, an Ersatzteile zu kommen.

Aber hilfreich war es trotzdem?

Auf jeden Fall. Wir können heute auf die Erfahrungen mit den Hybridmodellen aufbauen. 2015 stieß dann der erste reine E-Bus zur Flotte – von Hersteller Solaris – und lieferte im Zuge eines dreijährigen Forschungsprojekts weitere Erkenntnisse. Auf Basis der Erfahrungen entstand auch das Ladekonzept mit kombiniertem Depot- und Gelegenheitsladen per Pantograf, das wir heute anwenden.

Durch die Einführung der 20 eCitaro im Sommer 2022 kennen Sie bereits die Performance der neuen eCitaro bei warmen und bei kalten Temperaturen. Wie fällt Ihr Sommer/Winter-Vergleich aus?

Wir sind da relativ entspannt. Die Fahrzeuge haben eine CO2-Wärmepumpe zum Kühlen und Heizen an Bord, außerdem eine fossil betriebene Zusatzheizung, die bei unter 3 Grad zum Einsatz kommt. Ab diesen Temperaturen muss bei unserem Betriebskonzept die CO2-Wärmepumpe unterstützt werden. Für die fossile Zusatzheizung haben wir uns entschieden, weil wir die Wirtschaftlichkeit gewährleisten müssen. Ohne sie würde der Energieverbrauch weit abdriften. Ich würde aber nach jetzigem Stand schätzen, dass wir diese Zusatzheizung nicht mehr als 10 Prozent im Jahr brauchen. 120 Kilometer sind herstellerseitig garantiert. Die schaffen die Fahrzeuge immer. Im Sommer auch deutlich mehr.

Und Hand aufs Herz: Wie oft sind Techniker von Daimler Buses präsent, um noch an Stellschrauben zu drehen?

Ehrlich gesagt deutlich weniger als gedacht. Ein paar Kinderkrankheiten sind noch da, aber nichts Sicherheitskritisches. Probleme machen noch klassische Software-Themen, die wegprogrammiert werden müssen. Manchmal kommen städtespezifische oder Komfort-Dinge hinzu. Aber die Busse sind seit ihrer Einführung so gerollt, wie sie sollten.

Nach welchen Kriterien wurde die Linien 68 denn als reine E-Buslinie ausgewählt?

Anfangs hatten wir statt der 68 eine andere Linie im Auge. Aber die Installation der Gelegenheitslader an den Endpunkten wäre problematisch gewesen. Deshalb sind wir auf die 68 umgeschwenkt. Dadurch, dass diese mitten durch das Dresdner Stadtzentrum führt, sind die Effekte für den Klimaschutz nun auch am größten.

Hat sich das SBRS-Ladekonzept mit kombiniertem Gelegenheits- und Depotladen bewährt?

Wir fahren relativ viele Kilometer am Tag, das Fahrprofil ist mit einigen Steigungen recht anspruchsvoll und wir haben  auch relativ viel Nachtverkehr. Insofern ist ein Ladekonzept mit reinem Depotladen für uns nicht realistisch. Wir haben die 18-Meter-eCitaros mit der maximalen Batteriekapazität beschafft und sie schaffen es, gemäß unseres Betriebskonzepts in den Nacht- und frühen Morgenstunden auch Endpunkte auszulassen. In den anderen Fällen brauchen sie aber das Gelegenheitsladen, um über den Tag zu kommen. Bei den „kleinen“ eCitaro konnten wir auf die maximale Batteriekapazität verzichten, da hier die Fahrstrecke zwischen den Nachlademöglichkeiten deutlich kürzer ist. Positiver Nebeneffekt: diese beiden Fahrzeuge sind leichter. Das kommt der Fahrgastkapazität und dem Energieverbrauch entgegen.

Welche Vorkehrungen mussten Sie in puncto Netzanschluss treffen?

Das 22-kV-Mittelspannungsnetz ist in Dresden relativ gut ausgebaut. An den drei Gelegenheitsladern an den Endpunkten – einer bei der Linie 81 und zwei bei der Linie 68 – konnten wir davon profitieren. Als Straßenbahn-Stadt haben wir mit der Verfügbarkeit von Strom keine Sorgen. Da sind genug Reserven da. Auf dem Betriebshof stehen zum nächtlichen Laden 22 Ladeplätze zur Verfügung. Auch hier ist die Mittelspannung die primäre Energieversorgung. Diese wird dann über eine Trafo auf Niederspannung transformiert und im Ladegerät gleichgerichtet und geregelt.

Wie schwer wiegt der finanzielle Kraftakt der Flotten-Elektrifizierung? 

Das ist schon ordentlich. Das Investitionsvolumen für Fahrzeuge und Infrastruktur beläuft sich bisher auf etwa 25 Millionen Euro, wobei wir auf eine recht hohe Förderquote kommen, da Fördergeber verschiedener Ebenen eingebunden sind. Wir sind uns bewusst, dass wir daher relativ preiswert in das Geschehen eingestiegen sind. Wenn man sich jetzt mit den Kollegen vom Einkauf unterhält und die Preissteigerung im Bereich Rohstoffe und Material realisiert, wird klar, dass die weitere Umstellung der Flotte für uns wahrscheinlich um einiges teurer wird.

Wenn wir schon bei den hohen Energiepreisen sind: Ab wann werden sich die höheren Anschaffungskosten für E-Busse amortisiert haben?

Wir haben uns natürlich im Vorfeld Gedanken gemacht, ob Wasserstoff-, Oberleitungs- oder Batterie-elektrische Busse am wirtschaftlichsten sind. Unsere Wahl fiel auf die BEV-Busse, denn beim Wirkungsgrad führt nichts am BEV-Antrieb vorbei. Zur Amortisierung kann ich noch wenig sagen, da die Energiepreise aktuell so stark schwanken und die Aufwendungen für die Instandhaltung nach 8 Monaten Einsatzzeit noch nicht belastbar sind. In ein bis zwei Jahren lässt sich das verlässlicher bewerten.

Was sind denn mit der Flotten-Elektrifizierung aufgetretene Probleme, mit denen die DVB nicht gerechnet hatte?

Wir hatten nachts manchmal mit Ladeabbrüchen zu tun – mal lag das am Bus, mal am Ladegerät. Das sind Dinge, die noch austariert werden müssen, die uns aber nicht beim Betrieb einschränken. Solange wir aber noch an solchen Sachen arbeiten müssen, ist es meiner Meinung nach frühreif über solche Dinge wie bidirektionales Laden zu reden. Letztendlich befinden wir uns in einem Entwicklungsprozess, in dessen Zuge die Systeme immer stabiler werden.

Was sind denn im Gegenzug positive Überraschungen, mit denen die DVB nicht gerechnet hatte?

Überrascht hat uns, dass die E-Busse mehr Kilometer schaffen als von uns in der seinerzeitigen Ausschreibung gefordert und auch mehr als gedacht. Bei idealem Wetter hat ein E-Gelenkbus mal 170 Kilometer im Linieneinsatz am Stück geschafft. Aber da hat wirklich alles gepasst. Auch der Fahrer trägt viel zur Fahrleistung bei. Anfangs waren wir sehr vorsichtig. Wie erwähnt ist unser Betriebskonzept darauf ausgelegt, bei Nachtfahrten die Endpunkte auch mal auszulassen. Die Fahrer kamen da anfangs manchmal sehr ins Schwitzen, wenn Sie mit Fahrgästen hinten drin nachts mit nur noch 10% SoC an die Ladehaube kamen. Aber inzwischen können sie die Fahrzeuge sehr gut einschätzen. Sie merken sofort, wenn etwas am Fahrzeug nicht stimmt. Bisher ist noch nie ein E-Bus liegengeblieben.

Wie sehr bindet die Umstellung auf E-Busse Personal und Zeit bei den DVB?

Ich agiere seit 2020 als Projektleiter ausschließlich für die Umstellung auf E-Fahrzeuge, seit 2021 sind wir zu zweit und aus den Fachabteilungen stoßen temporär Kollegen dazu. Kalkuliert wurde der Personalaufwand mit dem Äquivalent zu 11 Personen, die ein Jahr lang arbeiten. Grundsätzlich haben wir viele Planungsaufgaben – etwa für die Lader – nach außen vergeben. Bei uns liegt vor allem die Organisation und Überwachung. Es stellt sich in jedem Verkehrsbetrieb individuell die Frage, ob man mehr intern oder extern machen kann und will.

Gab es ein anderes Unternehmen, an dem sich die DVB bei der Elektrifizierung orientiert haben? Und umgekehrt: Kommen andere Verkehrsbetriebe heute und wollen Tipps von den DVB?

Ersteres war eine Mischung aus eigenen Erfahrungen, die wir gesammelt haben, und dem Blick nach außen. Da wir früh selbst in Forschungsvorhaben eingebunden waren, haben wir das Umstellungskonzept vor allem auf unseren eigenen Erfahrungen aufgebaut. Als das Grundgerüst stand, haben wir uns aber schon mal umgeschaut, wie andere das so machen. Was wo gut funktioniert. Mit Leipzig haben wir zum Beispiel einen regen Austausch und auch darüber hinaus haben wir viele Kontakte und sind zum Beispiel bei Fachtagungen präsent.

Wie steht es um die weiteren Elektrobus-Pläne bei den Dresdner Verkehrsbetrieben?

Unser Aufsichtsrat hat beschlossen, keine Dieselbusse mehr zu kaufen. Die nächste Beschaffungsrunde steht 2025/26 wieder an. Dann erreichen wieder Bestandsfahrzeuge das Ende ihrer Nutzungsdauer. Möglich sind auch zuvor schon Beschaffungen zur eventuellen Erweiterung des Fuhrparks aufgrund von Angebotserweiterungen. Analysen dazu, welche Linie als nächstes elektrifiziert werden könnte, laufen bereits. Letztlich wird es eine wirtschaftliche Entscheidung, welche alternativen Antriebe die nächsten Busse haben werden. Eine große Rolle spielt auch die Stadt Dresden, die bis 2030 klimaneutral werden will.

Herr Seipel, haben Sie vielen Dank! 

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