Northvolt: Insolvenz nach Chapter 11 / CEO Peter Carlsson tritt zurück / Update zur deutschen Fabrik in Heide
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Die Northvolt-Muttergesellschaft – Northvolt AB – hat entschieden, sich einem Gläubigerschutz-Verfahren nach Chapter 11 zu unterziehen. Das teilt die deutsche Tochter in einer uns vorliegenden Pressenotiz mit. Angestoßen sei ein „freiwilliges Restrukturierungsverfahren nach Chapter 11„. Den Begriff „Insolvenz“ vermeidet das Unternehmen in seiner Mitteilung, auch wenn ein Verfahren nach Chapter 11 formal ein Insolvenzverfahren ist, da es in dem namensgebenden Kapitel 11 des US-Insolvenzrechts geregelt wird.
Etwas zeitversetzt machen die Schweden zudem öffentlich, dass Gründer Peter Carlsson als CEO zurücktritt, aber weiterhin als Mitglied des Vorstands und als Senior Advisor aktiv bleiben will. „Der heutige Tag markiert eine wichtige neue Phase für Northvolt und für mich persönlich“, äußert er selbst. Der Antrag nach Chapter 11 ermögliche es dem Unternehmen, sich zu reorganisieren […]. „Das macht es für mich zu einem guten Zeitpunkt, an die nächste Generation von Führungskräften zu übergeben.“
Tom Johnstone, Interimsvorsitzender des Verwaltungsrats würdigt die Vision und das Engagement des scheidenden CEO, der nicht sofort ersetzt wird. Der Suchprozess für einen neuen CEO sei eingeleitet worden, heißt es. Die Unternehmensleitung setzt sich bis dahin nur aus Finanzchefin Pia Aaltonen-Forsell und Cells-Präsident Matthias Arleth zusammen, der nun die Rolle des Chief Operations Officer übernimmt. Unterstützt wird das Duo von Chief Restructuring Officer Scott Millar.
Dieses Trio wird das Unternehmen nun also primär durch das Chapter-11-Verfahren steuern. Dabei handelt es sich in der Praxis um eine Art Sanierungsverfahren, das angeschlagene Unternehmen vor dem Zugriff durch die Gläubiger schützt und so die Neuaufstellung ermöglichen soll. Damit ist es in etwa vergleichbar zu einem deutschen Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung – das Management führt die Geschäfte weiter, ist aber offiziell unter Aufsicht eines Insolvenzgerichts. Wichtig ist aber, dass die Unternehmen eben (noch) nicht zahlungsunfähig sind.
In der Autobranche ist vor allem noch der Fall von US-Hersteller General Motors in Erinnerung, der 2008 eine Chapter-11-Insolvenz durchführen musste. Das Gläubigerschutz-Verfahren half dem Autobauer zwar, seine Schulden um fast 70 Milliarden Dollar zu senken. Allerdings wurden in diesem Zuge auch Marken wie Pontiac, Saturn oder Saab eingestellt oder verkauft, es wurden 13 US-Werke geschlossen und rund 20.000 Menschen verloren ihre Arbeitsplätze.
Notlage zeichnete sich lange ab
Bei Northvolt spitzt sich die finanzielle Notlage schon seit Monaten zu. Zunächst war bekannt geworden, dass BMW aufgrund der Liefer-Verzögerungen (diese sind wiederum wegen der Produktionsprobleme entstanden) einen Auftrag im Milliarden-Wert storniert hatte. Die Kombination aus wegbrechenden Aufträgen und den kapitalintensiven Problemen beim Skalieren der Produktion hat das Unternehmen in eine schwierige Finanzlage gebracht.
In der Folge hatte das Unternehmen eine „strategische Überprüfung“ angestoßen, Sparmaßnahmen verkündet und den Vorstand umgebaut. Inzwischen scheinen die Zweifel innerhalb der Branche aber zu wachsen: Die Traton-Marke Scania, die all ihre Batteriezellen für E-Lkw von Northvolt beziehen wollte, schaut sich Berichten zufolge bereits nach alternativen Lieferanten um.
Warum stößt eine schwedische Firma ein US-Verfahren an?
Nun zieht Northvolt AB mit Chapter 11 die Konsequenz – und teilt dies wie im ganzen bisherigen Verlauf auffallend ausführlich mit. Das Unternehmen ist sichtlich um Transparenz bemüht. Dabei verwundert zunächst, dass ein in Stockholm ansässiges Unternehmen ein Verfahren nach US-Recht anstößt. Möglich ist dies, weil Northvolt eine globale Geschäftstätigkeit und die Einbindung von US-Tochtergesellschaften vorweisen kann – und somit die rechtlichen Voraussetzungen für das Verfahren erfüllt. Das Unternehmen selbst antwortet auf die Frage, warum man das Verfahren in den USA und nicht in Europa beantragt habe, mit dem Hinweis, dass das US-amerikanische Chapter 11-Verfahren es ermögliche, den Betrieb während der
Restrukturierung aufrecht zu erhalten. Und: „Zugleich gibt ihnen dieses Verfahren Zugang zu speziellen Finanzierungsformen, wie Debtor-in-Possession (DIP)-Finanzierungen, die in anderen Ländern nicht in der gleichen Form verfügbar sind.“
Mit dem Schritt will die Muttergesellschaft Northvolt AB wortwörtlich „eine Wachstumsperspektive schaffen“ und eben neue Investitionsmittel einwerben. In Aussicht sein sollen rund 245 Millionen US-Dollar. Das Unternehmen präzisiert: „100 Millionen US-Dollar werden Northvolt von einem Kundenunternehmen im Rahmen einer sogenannten DIP-Finanzierung (Debtor-in-possession) für den Geschäftsbetrieb zur Verfügung gestellt. Dabei handelt es sich um eine spezielle Art der Brückenfinanzierung für Unternehmen, die sich in einem Chapter 11-Verfahren in der Restrukturierung befinden. Darüber hinaus erhält Northvolt von Kreditgebern Zugang zu etwa 145 Millionen US-Dollar – sogenanntes Cash Collateral.“ Wie übereinstimmend aus Medienberichten hervorgeht, ist Scania jener Kunde, der die DIP-Finanzierung in Höhe von 100 Millionen Dollar bereitstellt.
Neuanfang soll bis zum ersten Quartal 2025 gemacht sei
Northvolt gibt an, den Restrukturierungsprozess voraussichtlich „innerhalb des ersten Quartals 2025 abzuschließen“. Der operative Betrieb in Schweden soll ohne Unterbrechungen fortgesetzt werden – allen voran im Batteriezellwerk Northvolt Ett in Skellefteå. Die Produktion gehe dort wie gewohnt weiter, teilt Northvolt mit. Und betont schon erste Verbesserungen: „Seit Jahresbeginn gibt es einen positiven Trend mit einer Verdreifachung der Zellproduktion. Kürzlich konnte ein Produktionsrekord erzielt werden.“ Auch die Auslieferung an Kunden habe man zuletzt „stabilisieren können“.
Bemerkbar machen wird sich das Chapter-11-Sanierungsverfahren in den kommenden Wochen laut Northvolt durch eine strategische Neuausrichtung und „Effizienzmaßnahmen“, etwa „strukturelle Anpassungen, um die finanzielle Situation des Unternehmens zu verbessern“. An dem langfristigen Ziel, in Europa eine Batterieproduktion aufzubauen, ändere sich nichts, betonen die Schweden.
Deutschland-Tochter nicht betroffen
Northvolt Germany betont unterdessen seinen Status als eigenständige GmbH und damit einhergehend seine finanzielle Unabhängigkeit von der schwedischen Mutter – und liefert eine Bestandsaufnahme der Situation in Deutschland. Man sei nicht Teil des Chapter 11-Verfahrens und das Bauvorhaben bei Heide „ist und bleibt ein strategischer Grundpfeiler von Northvolt“, so die hiesige Tochter. Christofer Haux, CEO Northvolt Germany, spricht sogar davon, dass der Standort „höchste Priorität genießt“. Vor dem Hintergrund der Restrukturierung und des aktuellen Marktumfeldes soll es aber etwas später mit der ersten Zellmontage am Standort bei Heide und im Anschluss mit dem Fabrikhochlauf losgehen. Die Rede ist nun von der zweiten Jahreshälfte 2027 anstelle des ursprünglich für Ende 2026 vorgesehenen Startschusses.
Die Bauarbeiten bei Heide machen den Schweden zufolge aber gute Fortschritte und laufen weiter. Seit dem Baubeginn am 25. März 2024 sind nach Firmenangaben ein großer Teil der 110 Hektar umfassenden Fläche eingeebnet,
Baustraßen und Baustelleneinrichtungen angelegt und eine temporäre Autobahnausfahrt gebaut worden. Zudem ist ein temporäres Bürogebäude mit 120 Arbeitsplätzen entstanden. „Weitere Fortschritte umfassen die
Verlegung einer Gasleitung und den weit fortgeschrittenen Gewässerausbau, für den rund 1.900 Lkw-Touren Wassersteine verbaut wurden“, schildert das Unternehmen. Aktuell werde die Baustelle winterfest gemacht, während die Gründungsarbeiten mittels Bohrpfahlmaschinen weiter im Gange sind. Seit dem Frühjahr wurden Northvolt zufolge über 5.000 Pfähle hergestellt.
Habeck gibt sich „vorsichtig optimistisch“
Mit Zulieferern und politischen Entscheidern in Deutschland steht Northvolt nach eigenen Aussagen im engen Austausch. Und: „Northvolt Germany ist sich seiner Verantwortung für die bereitgestellten Fördermittel bewusst. Es wurden bisher keine Fördermittel in Anspruch genommen und Northvolt Germany wird, solange die Restrukturierung der Muttergesellschaft andauert, auch weiterhin keine Mittel abrufen.“ Dementsorechend zuversichtlich zeigte sich am Samstag Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der sich für die Förderung der Fabrik in seinem Heimatbundesland besonders stark gemacht hatte: Er sei „vorsichtig optimistisch“, sagte der Grünen-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Den Kern des Problems sieht er darin, dass die Stückzahl der produzierten Batterien im schwedischen Werk nicht hoch genug sei. Das sei „technisch lösbar“.
Wir erinnern uns: Der Bund stellte bereits Ende 2023 (trotz Haushaltskrise) etwa 564 Millionen Euro und das Land Schleswig-Holstein rund 136 Millionen Euro als Direktzuschüsse in Aussicht. On top wurde eine Garantie in Höhe von 202 Millionen Euro vereinbart. Die EU-Kommission segnete diese satte Förderung Anfang 2024 ab.
northvolt.com, northvolt.com (Rücktritt Carlsson), heise.de (Habeck)
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