Auswertung der These: Verfallsdatum für den Verbrenner?!

Immer mehr Länder wollen aus dem Verbrennungsmotor aussteigen. Nach Norwegen und Frankreich jetzt auch Großbritanien und Österreich. Die Grünen wünschen sich auch für Deutschland ab 2030 nur noch abgasfreie Autos. Die Teilnehmer unserer These des Monats stimmen diesem Verfallsdatum für Verbrenner mit großer Mehrzeit zu.

Von 2030 an sollten in Deutschland nur noch abgasfreie Autos zugelassen werden dürfen. Das fordern die Grünen in ihrem Mitte Juni verabschiedeten Programm für die Bundestagswahl. Ihr populärster Politiker jedoch, der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann, zerpflückte – wie ein heimlich aufgenommenes Video dokumentiert – diese Forderung mit deutlichen Worten. „Das sind doch Schwachsinns-Termine“, wetterte er angesichts der Komplexität des Mobilitätssystems. „Wir müssen uns darum kümmern, dass es überhaupt funktioniert, und nicht radikale Sprüche ablassen.“ Vor diesem Hintergrund stellten wir im Juli die folgende These des Monats zur Diskussion:

„Ein politisch erzwungenes Verfallsdatum für den Verbrenner wäre falsch. Der Umstieg auf Elektromobilität kann nur im Einklang mit der Automobilindustrie gelingen.“

Im europäischen Rahmen betrachtet, finden sich die Grünen mit ihrem Vorschlag freilich in guter Gesellschaft. Norwegen und die Niederlande hatten regierungsoffiziell bereits 2016 die Verfallsdaten 2025 bzw. 2035 für Verbrennungsfahrzeuge kommuniziert (mit Ausnahmeregelungen für Lkw). Im Juli, während die Diskussion unserer These schon lief, kamen auch aus Frankreich und England klare Signale. Dort will man den Verkauf von Fahrzeugen mit reinen Verbrennungsmotoren 2040 endgültig gestoppt wissen.

Der Verband der Autoindustrie (VDA) konterte mit der Veröffentlichung einer von ihm beim Ifo-Institut beauftragten Studie. Ein Verbot des Verbrennungsmotors ab dem Jahr 2030 könnte demnach zum Verlust von 600.000 Arbeitsplätzen in Deutschland führen. Wenige Tage später erschütterte der vom „Spiegel“ publizierte Verdacht, die deutschen Autohersteller hätten zu Lasten von Innovation, Kunden und Umwelt in einem Kartell zusammengearbeitet, deren Glaubwürdigkeit, die seit dem Dieselskandal ohnehin in Frage steht, aufs Neue. Am 28. Juli schließlich unterlag das Land Baden-Württemberg vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart der Deutschen Umwelthilfe im Streit um die Zulässigkeit von Diesel-Fahrverboten. Schon vom 1. Januar 2018 an wären demnach Diesel-Fahrverbote in deutschen Innenstädten möglich.

Die Diskussion unserer These des Monats verlief also vor einem hochaktuellen Hintergrund und fand dementsprechend große Resonanz. 361 Personen beteiligten sich daran. Nur eine kleine Minderheit stimmte der These dabei vorbehaltlos (55) oder teilweise (19) zu, während sich eine deutliche Mehrheit eindeutig (222) oder mit Einschränkungen (62) gegen sie aussprach. Neutral äußerten sich nur drei Diskussionsbeteiligte.

Zeichnet man die Diskussion der These nach, so zeigen sich über die Auszählung der Bewertungen hinaus folgende Positionen. Sie spiegeln ausdrücklich die Auffassung der Diskussionsbeteiligten und nicht die Meinung der Redaktion wider:

Grundtenor: Das verlorene Vertrauen

Die überwiegende Mehrheit der Diskutanten hat kein Vertrauen in die Ehrlichkeit und den Innovationswillen der Automobilindustrie mehr, darunter nicht wenige, die die Aussage der These befürworten. Selbstverpflichtungen der Industrie hätten schon früher nichts gebracht. „Ohne politische Vorgaben würden wir heute noch über den Einbau von Katalysatoren diskutieren.“ Wie „im Einklang mit der Automobilindustrie“ funktioniere, sehe man ja an der Manipulation von Abgaswerten. „Freiwillig geben die die Gelddruckmaschine Verbrenner nicht auf. Ohne Tesla und ohne die E-Auto-Quote in China würde hierzulande gar nichts passieren.“ Das ist gewissermaßen der Resonanzboden dieser Diskussion, in die sich auch Schimpfworte mischen. Vergleichsweise sachlich dagegen und repräsentativ für viele andere Äußerungen ist der Satz: „Die kriminelle Energie der Automobilindustrie ist inzwischen unübersehbar. Ohne politische Weichenstellung erzählen die uns noch lange was vom Pferd.“ Sich mit der Automobilindustrie über die Einführung der Elektromobilität verständigen zu wollen, sei so „wie mit Dinosauriern über das Aussterben zu diskutieren“, meint einer, ein anderer empfindet die Aussage unserer These so, als ob „jemand behaupten würde, dass Rauchverbote nur gemeinsam mit der Tabakindustrie durchzusetzen wären“. Wenn es ohne politischen Druck ginge, „wären hier schon E-Autos zu erschwinglichen Preisen auf der Straße“. Statt die Elektromobilität voranzubringen, habe die Industrie es aber vorgezogen, ihre Energie „ins Lügen und Betrügen bei den Dieseln“ zu stecken.

Geht man in der Analyse der Diskussion allerdings über diesen Grundtenor der Wut und des verlorenen Vertrauens hinaus, dann ergibt sich unter technologischen, ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten ein differenziertes Meinungsbild darüber, ob ein Verbot von Verbrennungsfahrzeugen wünschenswert bzw. sinnvoll ist.

Technologie: Eine unsichere Wette?

„Die Antriebstechnik ist marktreif. In den nächsten Jahren werden die Akkus umweltfreundlicher, ressourcenschonender und wirtschaftlich. Es gibt keinen Grund mehr, an der alten Technologie festzuhalten“. Das ist ein typischer Kommentar für diejenigen, die der These widersprechen und damit davon ausgehen, dass ein Verbot von Verbrennungsfahrzeugen zu einem bestimmten Termin kein Problem ist, weil diese sich dann durch Elektrofahrzeuge substituieren lassen. „Es gibt kein Zurück – 2030 ist eine eher vorsichtige Zeitzone. Technologisch ginge es Jahre früher.“

Die Befürworter der These setzen dem entgegen, dass die Elektromobilität derzeit noch eine unsichere „Wette auf die Zukunft“ sei. Sie verweisen vor allem auf drei Unsicherheitsfaktoren: Auf die Traktionsbatterien, denn noch sei längst nicht klar, ob diese 2030 zu vertretbaren Preisen und in ausreichenden Mengen verfügbar seien. Auf das Stromnetz, das noch lange nicht auf Elektromobilität ausgelegt sei („Wir sind nicht mal in der Lage, die Nord-Süd-Stromtrasse zu bauen, von einem hochflexiblen und intelligenten Stromnetz sind wir noch meilenweit entfernt.“) Und auf die fehlende Ladeinfrastruktur, deren Aufbau eine staatliche Aufgabe sei („Dazu muss Geld in die Hand genommen werden, davor drückt sich die Politik, auch die Grünen, bisher.“)

Ohne Automobilhersteller und Zulieferer werde es, so meinen viele Befürworter, nicht gelingen den Umstieg zur Elektromobilität technisch zu bewältigen („Wer baut denn die Fahrzeuge? Herr Dobrindt? Herr Hofreiter?“). Allerdings habe „gerade das Beispiel Streetscooter gezeigt, dass es (eingeschränkt) auch ohne geht“.

Ökologie: Ein zweischneidiges Schwert?

Was den Umweltschutz und die Gesundheitsvorsorge betrifft, scheint ein baldiges Verbot von Verbrennungsfahrzeugen unumgänglich zu sein. Die Gesundheit unzähliger Menschen vor allem in Großstädten sei durch Stickoxide und andere Abgase ernsthaft und immer bedrohlicher gefährdet, warnen viele Contra-Kommentatoren. Die CO2-Emissionen treiben den Klimawandel voran. Nur „durch die schnelle Abkehr von Verbrennern ist der Pariser Klimavertrag einzuhalten – das ist dringend notwendig, will man katastrophale Klimaänderungen vermeiden“. Im „Einklang“ mit der Autoindustrie und ohne politischen Druck würde diese Abkehr aber zu langsam erfolgen.

Befürworter der These verweisen jedoch darauf, dass das Klimaziel insbesondere ohne den Diesel mit seinen relativen geringen CO2-Emissionen nicht erreichbar sei. Überdies führen sie an, dass die „tatsächliche Ökobilanz eines Elektroautos im Vergleich zum Verbrenner katastrophal“ sei. Umfassende Lebenszyklusanalysen seien für alle Antriebsarten erforderlich. Die vorherrschende Tank-to-Wheel-Betrachtung übersehe auch die Auswirkungen der Elektromobilität auf manche Entwicklungsländer. Er wolle deshalb ein Verbrennerverbot in Deutschland erst, schreibt ein Kommentator, „wenn wir 100 % regenerativ erzeugten Strom zur Verfügung haben, was voraussichtlich 2030 nicht mal näherungsweise der Fall sein wird. Bisher fahren wir zu 70% mit Atom- und Kohlestrom. Das kann ich ökologisch nicht verantworten.“

Ökonomie: Zu satt zur Innovation?

Betriebswirtschaftlich betrachtet, liegt es auf der Hand, warum die deutsche Automobilindustrie sich mit dem Umstieg auf die Elektromobilität so schwertut: „Für eine freiwillige und marktgesteuerte Transformation sind die Margen bei herkömmlichen Fahrzeugen einfach zu hoch“. Die deutschen Autohersteller generieren „mit Verbrennern zu gute Zahlen“ und sind nicht ohne weiteres bereit, „von ihrer derzeitigen Cash Cow zu lassen“. Angesichts satter Gewinne mangele es ihnen an Risikobereitschaft und Innovationsfreude, zumal dann, wenn ihr traditionelles Geschäftsmodell von der Politik protegiert werde (Beispiel Diesel). „Als Ingenieur in der Automobilbranche“, heißt es in einem Kommentar, „habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Unternehmen nur handeln, wenn Sie handeln müssen. Die grundsätzliche Bereitschaft zum Umstieg ist da, aber erst, wenn wirklich ein Handlungsdruck aufgebaut wird, passiert auch etwas.“

Volkswirtschaftlich betrachtet, ist die Vorsicht der deutschen Automobilindustrie einerseits sinnvoll, ist sie samt ihren Zulieferern doch einer der wichtigsten Arbeitgeber Deutschlands. „Ein Umstieg kann nicht mit der Brechstange erfolgen. Hunderttausende Jobs sind direkt und indirekt mit der Automobilindustrie verbunden.“ Andererseits könnte diese Vorsicht zu kurzfristig gedacht sein. Langfristig könnte es sich rächen, wenn die deutsche Automobilindustrie nur noch reagiert und keine Maßstäbe mehr setzt. Innovation fände dann anderswo statt. „Wo sind dann die Jobs der E-Antriebstechnik und Batterietechnik, wenn wir so weiter auf der Bremse stehen? Bestimmt in Asien und USA und nie in Deutschland.“

diesel-tankstelle-symbolbild-pixabay

Ein politisch definiertes Ende der Verbrennertechnik sei deshalb, so die vielstimmige Meinung im Contra-Lager, „die einzig realistische Möglichkeit, auch die deutschen Autobauer aufs Pferd zu heben“. Läge doch die deutsche Autoindustrie „jetzt schon technologisch um mehrere Jahre zurück“ und sei es im internationalen Wettbewerb volkswirtschaftlich von höchster Bedeutung, „dass Deutschland und seine Automobilindustrie den Anschluss nicht verpassen“. Ein politisches Verfallsdatum für den Verbrenner schaffe Planungssicherheit und „gibt den Herstellern die dringend benötigten Leitplanken für ihre Zukunftsausrichtung“. Nur politischer Druck werde „dazu beitragen, die Innovationsführerschaft in dieser Branche zurückzuerlangen“. Wenn nämlich „das Aus für den Verbrenner klar fixiert wäre, könnte man sich Milliardeninvestitionen in die auslaufende Technologie sparen und so die Kräfte für den Umstieg bündeln“.

Die Befürworter der These warnen demgegenüber vor dirigistischen Maßnahmen. „Dass Planwirtschaft nicht funktioniert, ist hinlänglich bewiesen.“ Der Technologiesprung in ein Zeitalter digitaler und elektrifizierter Mobilität könne nur „in fließendem Übergang und mit einem Mix funktionieren“. Die Politik müsse dabei „die technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten der Automobilindustrie kennen und berücksichtigen, um den Firmen ein wettbewerbsfähiges Geschäftsmodell zu ermöglichen“, andernfalls laufe sie Gefahr, aus ideologischen Gründen den Standort Deutschland zu gefährden. „Jede staatlich erzwungene Lösung, die sich nicht alleine am Markt durchsetzen kann, macht das Leben für die Menschen teurer. Gewinnen tun dabei wenige. Siehe das EEG.“

Nicht zwingend im Einklang mit der Automobilindustrie, aber im Einklang mit dem Markt werde sich die Elektromobilität ohnehin durchsetzen, meinen deshalb eine ganze Reihe von Diskussionsbeteiligten. Dafür werde allein der wachsende Druck ausländischer Anbieter sorgen. Die Autobauer bräuchten aber auch ein klares Zeichen der Kunden, die bisher noch „nicht von ihren Gewohnheiten lassen wollen und die Verbrenner kaufen“. Ein Kommentator ist diesbezüglich sehr zuversichtlich: „Die ganze Diskussion um ein erzwungenes Verfallsdatum ist nicht falsch, sondern müßig und unnütz, denn in 13 Jahren wird kein normal denkender Mensch mehr freiwillig einen Verbrenner kaufen wollen!“

Alternative Optionen

Ein allgemeines Verbot von Verbrennungsfahrzeugen ist nicht die einzige Möglichkeit, um alternative Antriebe zu fördern und eine Verkehrswende zu verwirklichen. Folgende andere Optionen wurden von Diskussionsbeteiligten vorgeschlagen:

  • Eine stufenweise Quotenregelung: Demnach müsste zum Beispiel jeder Hersteller bis 2020 10% Elektroautos verkaufen, bis 2025 45%, bis 2030 75% und zu einem später festzusetzenden Datum 100%.
  • Ein „schrittweises Ausphasen“ über abgestufte Fahrverbote: Diese könnten zum Beispiel bei Verbrennungsfahrzeugen mit CO2-Emissionen von über 100g/km beginnen.
  • Übergangsbestimmungen für Verbrenner: Diese könnten zum Beispiel vorsehen, dass die Industrie ihre Verbrennungsmotoren von 2030 an auf CO2-freie synthetische Kraftstoffe umstellen muss.
  • Negative Anreizsysteme: Die externen Kosten (z.B. durch Luftverschmutzung) von Verbrennungsfahrzeugen könnten zum Beispiel durch die Erhebung einer über die Jahre steigenden Verkaufs-Steuer abgegolten werden.
  • Fokussierung auf die Innenstädte: Dort bestehen die größten Umweltprobleme und dort funktioniert Elektromobilität (einschließlich Hybridfahrzeugen) am besten. Mit Einfahrverboten oder -gebühren für Verbrenner würden – ausreichende Ladeinfrastruktur vorausgesetzt – Elektrofahrzeuge und Hybride dort wirtschaftlich, woraus sich immer bessere Produktangebote ergäben, die Elektrofahrzeuge auch außerhalb der Städte zunehmend attraktiver machten.

Fazit

Das eindeutige Ergebnis bei der Bewertung der These ist vielleicht auch darauf zurückzuführen, dass Vertreter der Automobilindustrie sich noch nicht ernsthaft genug mit der Elektromobilität auseinandersetzen, indem sie zum Beispiel electrive.net lesen. Es sollte deshalb nicht darüber hinwegtäuschen, in welchem Dilemma sich eine Politik, die marktwirtschaftlichen Prinzipien folgen will, befindet. „Ein Alleingang der Politik geht gar nicht, doch ohne sie versagt die Industrie jämmerlich, wie die Dieselaffäre es gerade wieder beweist“, bringt es ein Diskussionsbeteiligter auf den Punkt. Ein anderer stimmt der These zu „weil ich immer noch glaube, dass nur im gemeinsamen Dialog etwas zu erreichen ist. Ich glaube immer noch an das Gute in den Managerköpfen“. Angesichts seiner weitreichenden ökonomischen und ökologischen Bedeutung erscheint eine Ent-Emotionalisierung des Themas in jedem Fall empfehlenswert. Das ist in Wahlkampfzeiten leichter gesagt als getan. „Das schlimmste ist, dass richtige Feindbilder für Verbrenner und E-Antrieb aufgebaut werden“, beklagt ein Diskussionsbeteiligter. Dabei sind sich im Grunde fast alle einig, dass die erfolgreiche Einführung der Elektromobilität eine äußerst komplexe systemische Aufgabe ist, die Ausdauer verlangt, und nur gemeinsam gelöst werden kann. Vertrauen ist dafür jedoch die entscheidende Voraussetzung. Insofern liegt der Ball derzeit im Feld der Industrie.

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