Logistik mit E-Fahrzeugen – eine Frage der digitalen Hilfsmittel

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Die Digitalisierung gibt der Logistik-Branche alle nötigen Werkzeuge an die Hand, um den Einsatz von E-Fahrzeugen in der Warendistribution wirtschaftlich zu gestalten. Das ist die These, der das Projekt „Smart Distribution Logistik“ drei Jahre lang auf den Grund gegangen ist. Hier geht’s zum Resümee.

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„In der Logistik-Branche gibt man sich nicht damit zufrieden, wenn die Dinge auf dem Papier gut funktionieren, sie müssen dies auch in der Realität tun“ – das sind die Worte von Harald Hempel, Leiter des abgeschlossenen Projekts Smart Distribution Logistik (SDL) und von dessen aktuellem Nachfolgeprojekt Smart Multi-Use Logistik (SML). Und für einen eben solchen praxisnahen Projektansatz knöpften sich Hempel und sein Team die Medienlogistik vor – eine kostensensible Branche in vollem Umbruch und mit speziellen Anforderungen, etwa nächtlichen Liefertouren.

Über drei Jahre entwickelten die Projektbeteiligten ein dynamisches Planungs- und Optimierungssystem, das kontinuierlich mit den Praxispartnern – der Sächsischen Zeitung und der LVZ Logistik GmbH der Leipziger Volkszeitung – getestet wurde. Schlagworte waren dabei unter anderem eine digitale automatische Tourenplanung, Mehrfachnutzungsansätze und städtische Micro-Hubs. Harald Hempel betont, dass es nicht damit getan sei, einfach Elektrofahrzeuge in über Jahre gereifte Prozesse integrieren zu wollen. Die neue Antriebsart könne nur dann funktionieren, „wenn ich alles noch einmal neu denke“.

Im Gespräch mit electrive.net-Redakteurin Cora Werwitzke schildert der Projektleiter außerdem, warum gerade der im Zuge des Projekts sondierte Cross-Company-Ansatz Potenzial hat. Inwiefern das Nachfolgeprojekt Smart Multi-Use Logistik hier den Horizont verschieben will und zu welchen realen Anwendungen die Forschungs-Initiative inzwischen inspiriert hat. Sowohl SDL als auch SML sind Projekte aus dem Technologieprogramm „IKT für Elektromobilität“.

Herr Dr. Hempel, die Schlüsselbegriffe in Smart Distribution Logistik sind Wirtschaftlichkeit und Elektromobilität. Kurz und knapp: Sind die beiden Begriffe eher wie Magneten, die sich anziehen oder abstoßen?

Ich bevorzuge da das Bild der chemischen Substrate, die nicht unmittelbar eine Reaktion mit positivem Ausgang miteinander eingehen. Dazu bedarf es der Digitalisierung als Enzym. Nur damit können Elektromobilität und Wirtschaftlichkeit einander positiv beeinflussen.

Sie sind hingegangen und haben Wirtschaftlichkeit als feste Konstante definiert und davon ausgehend gefragt, was sich mit digitalen Mitteln alles tun lässt, um die Effizienz von Elektrofahrzeugen so lange zu steigern, bis besagte Wirtschaftlichkeit erreicht ist. Diese Herangehensweise ist uns so noch nicht begegnet…

Sagen wir mal so, die Wirtschaftlichkeit in Transportprozessen war zuerst da. Dann kam die Elektromobilität mit vielen neuen Chancen, aber auch großen Herausforderungen. Wenn man in durchaus über die Jahre gereifte Prozesse auf einmal Elektrofahrzeuge integrieren will, dann wird das im Regelfall nur dann funktionieren, wenn ich alles noch einmal neu denke. In unserer komplexen Welt von heute ist da der Einsatz von digitalen Hilfsmitteln unumgänglich.

Das Projekt legt den Fokus auf Medienlogistik, eine sehr kostensensible Branche in vollem Umbruch und mit speziellen Anforderungen, etwa nächtlichen Liefertouren. Sind Branchen, die – ich überspitze mal – mit dem Rücken zur Wand stehen, technologieoffener als andere?

Ja ich denke schon. Es gibt genug Sprichwörter die belegen, dass die Menschheit doch eher abwartend denn voranschreitend ist: „Was der Bauer nicht kennt…“ oder „Never change a running system“. Deswegen sind für uns erfolgreiche Pioniere ja so herausragende Persönlichkeiten. Die Veränderungsbereitschaft ist gewöhnlich dann am größten, wenn auch die Letzten begriffen haben, dass es so nicht mehr weiter geht. Leider!

Eine große Rolle spielt in Smart City Logistik das überbetriebliche Flottenmanagement. Stichwort Cargo- oder Vehicle-Sharing. Was hat es damit auf sich?

Wir beobachten in einer ganzen Reihe von Fällen, dass Fahrzeuge sowohl kapazitätsmäßig als auch zeitlich nicht ausgelastet werden. Sie fahren halbleer durch die Gegend oder sind Stehzeuge. Mitfahrangebote und Carsharing im Pkw-Bereich sind seit Jahren etabliert. Warum nicht auch einen ähnlichen Ansatz im Straßengütertransport versuchen?

Wen sehen Sie als Zielgruppe für diesen Cross-Company-Ansatz? Vor allem Kleinunternehmen?

Wenn es da um das Teilen von Fahrzeugen geht, dann sind Kleinunternehmen sicherlich eine interessante Zielgruppe. Aber auch Unternehmen mit Flotten, die nur zeitlich begrenzt genutzt werden. Eine Herausforderung hierbei, ebenso wie bei der Mitnahme von fremden Waren, sind die zwischen den Branchen teilweise sehr unterschiedlichen Prozesse und Anforderungen an Fahrzeug und Fahrer.

Kommen wir auf die im Zuge des Projekts entwickelten, digitalen Instrumente zu sprechen: Da wäre zum einen eine zentrale Steuerungsplattform, aber auch spezielle Tools wie der sogenannte Software Agent. Können Sie uns beides näher erläutern?

Wie bereits eingangs erwähnt stellt eine durchgängige Digitalisierung eine wichtige Voraussatzung für eine Veränderung hin zur Elektromobilität dar. Und Digitalisierung ist eben sehr viel mehr als das reine Sammeln von Daten. Die Daten müssen miteinander verknüpft, nach Mustern durchforstet und letztlich für die Optimierung genutzt werden. In unserem Kontext ist eine zentrale Plattform hierfür besonders gut geeignet.

Mit Software Agenten wiederum kann man Daten und auch Software-Bausteine, ähnlich wie Organismen in der Natur, selbstständig miteinander interagieren lassen. Die Agenten tragen ihr eigenes Regelwerk mit sich und sind im geeigneten Umfeld in der Lage, Kommunikation und Optimierung ohne direkten Anstoß von außen vorzunehmen.

Es geht also darum, digitalen Helfern die ansonsten zeitraubende Koordination von unternehmensübergreifenden Logistik-Prozessen zu überlassen? Klingt vielversprechend, aber wie sieht es da zum Beispiel mit der Datensicherheit aus?

Da sprechen Sie einen sehr wichtigen Punkt an! Kooperation erfordert nun einmal Offenheit und funktioniert natürlich nur mit einem gewissen Maß an gegenseitigem Vertrauen. Zum Glück sind wir technologisch dazu in der Lage, das Thema Datensicherheit zu einem integralen Bestandteil jeder Softwarelösung zu machen. Und so war auch in der im Projekt entwickelten Lösung das Thema Sicherheit, und damit meine ich die Sicherheit der Daten ebenso wie der Prozesse und IT-Strukturen, von Anfang präsent. Darauf haben nicht zuletzt auch unsere Praxispartner hohen Wert gelegt.

Wir sind beim Einlesen auf die Forderung gestoßen, Logistik-Hubs – also Umschlagpunkte – wieder aus der Peripherie in die Städte zu bringen. Warum?

Wie immer in der Logistik gibt es keine Lösung, die für alle Anwendungen gleichermaßen gut funktioniert. Wenn man jedoch Elektrofahrzeuge in der innenstädtischen Logistik einsetzen will, dann wäre es schade, wenn ein Großteil ihrer Reichweite bereits auf dem Weg in die Stadt hinein verbraucht wird. Zudem liegt eine Stärke des elektrischen Antriebsstranges ja gerade in der Fähigkeit, nahezu verschleißfrei und sehr verbrauchsarm den Stopp-und-Go-Betrieb in der städtischen Zustellung bewältigen zu können. Insofern sind hier Inner City Hubs oder auch Micro Depots eine überdenkenswerte Option.

Drei Jahre Entwicklung, Konzeptionierung, Felderprobung – welche Quintessenz ziehen Sie heute aus dem Projekt? Welche Erkenntnisse bringen die Logistik-Branche wirklich weiter?

Das Projekt war ein großer Erfolg für alle beteiligten Unternehmen und wir sind dem BMWi und dem Förderprogramm IKT für Elektromobilität sehr dankbar für die Unterstützung. Wir haben viel gelernt, hatten die Gelegenheit Neues auszuprobieren und die Zukunft der Logistik mit zu gestalten. In unserem Projekt haben wir erfolgreich nachgewiesen, dass der wirtschaftliche Einsatz von Elektrofahrzeugen in der Verlagslogistik keine Utopie oder ein riskantes Experiment mehr sind.

In der Logistik-Branche gibt man sich nicht damit zufrieden, wenn die Dinge auf dem Papier gut funktionieren, sie müssen dies auch in der Realität tun. Insofern war unser Ansatz, sehr praxisnah zu forschen und neben der eigentlichen Forschung und Entwicklung immer auch im Realbetrieb die Dinge zu erproben genau richtig. Die große Resonanz auf die Ergebnisse unseres Projektes bestätigt dies.

Gibt es konkrete Vorhaben, die auf den gewonnenen Erkenntnissen von Smart Distribution Logistik aufbauen? Auf welche Geschäftsmodelle oder Produkte können wir uns da freuen?

Die Zahl der in der Verlagslogistik eingesetzten Elektrofahrzeuge wächst stark. Das ist nicht zuletzt auch ein Ergebnis unseres erfolgreichen Projektes, denn in der Branche wird sehr genau geschaut, was anderswo gut funktioniert. Insbesondere unsere assoziierten Partner haben das getan.

Daneben sind wir dabei, viele der entwickelten Softwarebausteine erfolgreich in bestehende Produkte zu integrieren und stehen mit mehreren Unternehmen der Verlagslogistik im Austausch, die daran großes Interesse haben.
Und nicht zuletzt haben wir in Jena nach dem Ende des Projektes mit i-bring einen Lebensmittellieferdienst aufgebaut, bei dem die entstandenen Komponenten weiter zu Einsatz kommen und verbessert werden. Hier greifen wir konsequent den Gedanken der Mehrfachnutzung von Fahrzeugen und Fahrern auf und schaffen so die Voraussetzung für ein vielversprechendes ergänzendes Geschäftsmodell für regionale Logistikdienstleistungen.

Mit Smart Multi-Use Logistik gibt es auch bereits ein Nachfolgeprojekt, das sich dem Aufbau einer kooperativen Logistikplattform widmet. Ist daraus zu folgern, dass gerade die Ansätze zur unternehmensübergreifenden Warendistribution viel Potenzial haben? 

Das kann man auf jeden Fall sagen! Zwar wird und kann dieser Ansatz nicht für beliebige Branchen funktionieren, da ist die Logistik viel zu heterogen in Bezug auf Anforderungen und Prozesse, aber es gibt viele Beispiele wo das Potenzial dafür da ist. Gleichzeitig erfordert Zusammenarbeit nicht nur, dass man abgibt, sondern auch, dass man sich auf Gemeinsamkeiten einigt und in den eigenen Abläufen Veränderungen zum Wohle der Zusammenarbeit vornimmt. Und gerade der letzte Punkt ist in der Praxis oft komplexer und schwieriger zu realisieren, als man denkt. Entsprechend großer Enthusiasmus der Beteiligten für die Sache oder wirtschaftlicher oder politischer Druck sind dann sehr hilfreich.

Welches Ziel haben sich die Partner des laufenden Projekts konkret gesteckt? Und in welcher Branche werden diesmal die Praxisanwendungen erprobt? 

Unser Projekt SML hat sich der kooperativen Paketlogistik in Mitteldeutschland verschrieben. Und Kooperation ist hier explizit als ein wichtiger Baustein für Nachhaltigkeit und Senkung der Umweltbelastungen zu sehen. Konkret erforschen, entwickeln und erproben fünf Verlagslogistiker, UPS und ein Pharmalogistiker zusammen mit zwei wissenschaftlichen Einrichtungen und einem IT-Unternehmen, wie Paketlogistik über Gebietsgrenzen hinweg und auch im gleichen Gebiet kooperativ mit Elektrofahrzeugen funktionieren kann und welche digitalen Plattformlösungen und Hilfsmittel dafür notwendig sind. Ziel ist es, am Ende der Projektlaufzeit, also in knapp zwei Jahren, eine stabile und praxiserprobte Plattformlösung für kooperative Logistik zur Verfügung zu haben, die verhältnismäßig einfach auf den Bereich außerhalb von Mitteldeutschland und auch auf andere Branchen ausgeweitet werden kann.

Herr Hempel, haben Sie vielen Dank für das Interview.

Über die Projekte:

Das Projekt „Smart Distribution Logistik“ (SDL) lief von 2017 bis 2020 und widmete sich dem wirtschaftlichen Einsatz von E-Fahrzeugen in der Logistik am Beispiel der Medienlogistik. Das Nachfolgeprojekt „Smart Multi-Use Logistik“ befasst sich aktuell mit dem Aufbau einer kooperativen Logistikplattform. Beide Projekte sind Fördervorhaben des Technologieprogramms „IKT für Elektromobilität“. Weitere Informationen gibt es auf der Projekt-Webseite sdl.smartcitylogistik.de.

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