Li auto l9 lidar hintergrund background
Bild: Li Auto

P3 ADAS Benchmark: Li Auto übernimmt die Spitze

Auch in diesem Jahr hat die Unternehmensberatung P3 die Performance von Fahrerassistenzsystemen (Advanced Driver Assistance Systems, ADAS) verschiedener Hersteller unter die Lupe genommen. Im Interview ordnen Ricco Kämpfer und Marius Müller die Ergebnisse ein und zeigen, welche Trends europäische OEMs für den globalen Wettbewerb im Blick behalten sollten.

Im P3 ADAS Benchmark 2024 hatte der Aito M9 mit Huawei‑Technik die Nase vorn und chinesische OEMs waren international klar führend – inklusive vieler Level 2++‑Funktionen, die auf dem chinesischen Markt bereits weit verbreitet sind.

Im aktuellen Interview reflektieren Ricco Kämpfer, Senior Consultant & Team-Lead Autonomous Driving Market & Strategy, und Marius Müller, Team Lead Autonomous Mobility, von der Unternehmensberatung P3 die Ergebnisse des ADAS Benchmark China 2025, der erneut auf standardisierten Tests und Benchmarking‑Events in Beijing und Shanghai basiert. Sie erläutern, wie sich das Leistungsniveau weiter verdichtet hat, welche technologischen Trends sich abzeichnen – etwa der verstärkte Einsatz von End‑to‑End‑AI‑Modellen – und welche Unterschiede im Vergleich zum Vorjahr erkennbar sind. Dabei wird klar: Während chinesische Anbieter ihre Position weiter ausbauen, stehen internationale OEMs, insbesondere aus Europa, vor strategischen Herausforderungen.

Wie war das Feedback der Teilnehmer am Kundendrive in Shanghai? Gab es Learnings aus dem Format 2024?

Ricco Kämpfer: Das Feedback war durchweg positiv. Besonders hervorgehoben wurden die große Bandbreite an verfügbaren Fahrzeugen, die Vernetzungsmöglichkeiten sowie die attraktive Location. Den Testfahrten gingen kurze Keynotes unseres lokalen Market-Intelligence-Teams voraus. Darüber hinaus bot sich den Teilnehmenden Gelegenheit zum Networking bei Speisen und Getränken. Bei der Einladung legten wir bewusst Wert auf einen vielfältigen Mix aus europäischen und chinesischen OEMs, SDS-Anbietern sowie Investment Holdings – ein Ansatz, der sich im Nachhinein als sehr erfolgreich erwiesen hat.

Warum wurde 2025 zusätzlich ein internes Testevent in Beijing ergänzt – was war der strategische Gedanke dahinter?

Ricco Kämpfer: Ein internes Testevent fand bereits 2024 statt. Noch vor dem Kundenevent haben wir die Fahrzeuge damals intensiv gebenchmarked – sowohl hinsichtlich ADAS-Funktionen als auch in Bezug auf UX/UI-Aspekte. Um die Ergebnisse aus 2025 mit denen des Vorjahres vergleichen zu können, war es uns wichtig, erneut dieselbe Testroute zu nutzen. Daher wurde das dreitägige interne Testevent mit insgesamt zwölf Fahrzeugen auch dieses Jahr wieder in Beijing durchgeführt. Das anschließende Kundenevent – mit einer reduzierten Fahrzeugauswahl aufgrund der gleichzeitig stattfindenden Auto Show – fand hingegen in Shanghai statt.

Wie wurden die Fahrzeuge für das Benchmarking 2025 ausgewählt? Haben Sie auf Vorjahresmodelle aufgebaut oder war die Auswahl bewusst neu?

Ricco Kämpfer: Die Fahrzeugauswahl erfolgte in enger Abstimmung mit unserem lokalen Expertenteam in China. Der Fokus lag dabei auf mehreren Aspekten: Zum einen auf aktuellen Software-Versionen der Spitzenreiter aus dem Vorjahr, wie etwa Huawei und Xpeng, zum anderen auf neuen Systemen im chinesischen Markt – beispielsweise Teslas FSD. Darüber hinaus war es uns wichtig, verschiedene technologische Ansätze und Sensor-Modalitäten abzudecken, etwa Vision-Only-Lösungen wie bei Tesla oder dem Xpeng P7+. Grundsätzlich legten wir Wert darauf, ein möglichst breites Spektrum abzubilden – von Luxusfahrzeugen bis hin zu Einstiegsmodellen – sowie die führenden Anbieter im Bereich ADAS-Technologien einzubeziehen.

Hat sich die Performance chinesischer OEMs auch 2025 wieder als führend erwiesen?

Ricco Kämpfer: Hier ist eine Differenzierung erforderlich: Chinesische OEMs sind beispielsweise in unserem EU Experience Drive nicht führend – darauf gehen wir später noch genauer ein. Im Rahmen unserer Tests in China zeigte sich jedoch ein deutlich anderes Bild: Über verschiedene Fahrzeuge und Systeme hinweg konnten wir teils sehr starke Leistungen beobachten. Die Spitzengruppe hat sich nicht nur vergrößert, sondern ist auch leistungsmäßig enger zusammengerückt. Das bedeutet, dass die Performance-Unterschiede zwischen einzelnen Fahrzeugen teilweise nur noch marginal sind – und nur mit einem klar definierten, spezifischen Test-Framework überhaupt quantifizierbar bleiben. Für den Endnutzer sind diese Unterschiede meist kaum wahrnehmbar. In unserem diesjährigen Test in China kam übrigens nur ein nicht-chinesisches System zum Einsatz: Tesla FSD. Auch wenn es aktuell noch nicht ganz zur Spitzengruppe zählt, war die gezeigte Leistung angesichts der noch kurzen Marktverfügbarkeit bereits beachtlich. Wir rechnen hier im kommenden Jahr mit einem deutlichen Performance-Sprung – vorausgesetzt, das System kann auf eine breitere lokale Datenbasis zurückgreifen und es gibt keine geopolitischen Einschränkungen für Tesla.

Welche Trends lassen sich im Vergleich zu 2024 erkennen – insbesondere im Bereich „hands-free“ Fahren in urbanen Szenarien?

Ricco Kämpfer: Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass lediglich zwei unserer zwölf Testfahrzeuge nicht über L2++ Funktionalität in urbanen Szenarien verfügten. Das unterstreicht, dass L2++ Systeme in China mittlerweile weit verbreitet sind – L2+ auf der Autobahn ohnehin. Unabhängig vom Vergleich zum Jahr 2024 beobachten wir zudem einen klaren Trend hin zu End-to-End-AI-Modellen. In welchem Umfang diese tatsächlich in den jeweiligen Systemen implementiert sind, lässt sich von außen allerdings nur schwer beurteilen. Unsere Einschätzung ist, dass bei den meisten Anbietern schrittweise klassische Funktionsmodule durch E2E-Modelle ersetzt werden. Dieser technologische Wandel trägt in jedem Fall dazu bei, dass die Leistungsdichte in unseren Tests spürbar zunimmt.

Konnten internationale OEMs 2025 beim Level 2+ aufholen oder bleibt der technologische Rückstand bestehen?

Ricco Kämpfer: In China spielen die Systeme internationaler OEMs – abgesehen von Tesla FSD – derzeit keine bedeutende Rolle. Deutsche Hersteller setzen vor Ort zunehmend auf chinesische Technologieanbieter wie Huawei, Zhuoyu, Momenta oder Horizon Robotics. Dieser Ansatz ist nachvollziehbar, da es den OEMs oft an der notwendigen Inhouse-Kompetenz fehlt und die Produktentwicklungsprozesse zu lang und wenig flexibel sind. Auf der Auto Show konnten wir im Vergleich zu 2024 ein wachsendes Interesse an deutschen Fahrzeugmodellen beobachten. Die Fahrerassistenzsysteme werden jedoch auch künftig nicht proprietär entwickelt, sondern maximal in Form von Entwicklungspartnerschaften mit lokalen Technologieanbietern eingebunden – ein Weg, der aus unserer Sicht absolut sinnvoll ist.

Wie hat sich der P3 ADAS Index im letzten Jahr weiterentwickelt? Gab es methodische Anpassungen oder neue Testfälle?

Ricco Kämpfer: Die kontinuierliche Weiterentwicklung der ADAS-Systeme erfordert auch eine fortlaufende Anpassung und Erweiterung unseres Testframeworks. Grundsätzlich stellen wir sicher, dass ein großer Teil der Testfälle marktübergreifend und sowohl für Level 2 als auch für höhere Automatisierungsstufen anwendbar ist. Mit Blick auf L2+ und L2++ ist es jedoch notwendig, spezifische Testfälle zu berücksichtigen. Im Vergleich zu 2024 haben wir daher rund 50 zusätzliche Testfälle integriert, um auch kleinere Leistungsunterschiede der Systeme besser quantifizieren zu können. So unterscheiden sich die Systeme beispielsweise oft im Verhalten bei Cut-ins anderer Fahrzeuge – etwa hinsichtlich Reaktionsgeschwindigkeit (zögerlich versus „China-Verkehr-like“) – oder in der Bewertung der Sinnhaftigkeit von Spurwechseln im fließenden Verkehr. Mit dem angepassten Framework können wir diese Feinheiten nun präziser herausarbeiten.

Wie reagieren die Hersteller auf die Veröffentlichung der Ergebnisse? Nutzen sie den Index aktiv zur Weiterentwicklung?

Ricco Kämpfer: Im vergangenen Jahr haben wir sowohl in Europa als auch in China großes Interesse an unseren Ergebnissen festgestellt. Auch in diesem Jahr wurde der neue Report bereits während unseres Kundenevents in Shanghai beziehungsweise kurz danach intensiv nachgefragt. Inwieweit die Ergebnisse direkt in die Entwicklungstätigkeiten der OEMs einfließen, kann ich nicht beurteilen. Unsere Resultate und vor allem das dahinterstehende standardisierte Framework unterstützen die Hersteller jedoch maßgeblich bei der objektiven Bewertung und dem Vergleich der Systeme. Für uns besonders spannend sind die daraus entstehenden Benchmark-Kundenprojekte. So führen wir inzwischen gemeinsam mit OEMs oder Tier-1-Kunden individuelle Benchmarks durch: Der Kunde wählt die für ihn relevanten Fahrzeuge aus, und wir führen den Benchmark End-to-End durch – bei Bedarf inklusive kundenspezifischer Anpassungen des Frameworks, etwa mit zusätzlichen Parking-Testfällen. Am Ende erhält der Kunde einen objektiven ADAS-Index und kann das Testframework auf Wunsch auch intern weiter nutzen.

Wie wird sichergestellt, dass der Index realitätsnahe Verkehrsszenarien abbildet, insbesondere in einem dynamischen Markt wie China?

Ricco Kämpfer: ‚In China for China‘ gilt nicht nur für die Entwicklung China-spezifischer  ADAS-Produkte, sondern auch für unseren Index. In China verfügen wir über mehrere lokale Standorte sowie ein ADAS Market Intelligence Team in unserem HQ in Beijing. Mit diesem Team arbeiten wir sehr eng zusammen – sowohl bei der Weiterentwicklung des Index als auch bei allen Kundenprojekten, um Synergien optimal zu nutzen. So stellen wir sicher, dass China-spezifische Szenarien, wie etwa ‚Tidal Lanes‘, konsequent im Testframework berücksichtigt werden. Zudem werden die Benchmarks, auch im Rahmen von Kundenprojekten, federführend von unserem lokalen Team durchgeführt.

Welche Funktionen standen 2025 im Fokus der Bewertung – wieder „Navigation on Pilot“ (NoP) oder neue Schwerpunkte?

Ricco Kämpfer: Aufgrund der Marktentwicklungen stand NoP auch in diesem Jahr erneut im Fokus. Wie bereits erwähnt, haben wir unser Framework hierfür nochmals signifikant verfeinert, um der zunehmenden Leistungsdichte gerecht zu werden. Neben NoP haben wir auch weiterhin mit der gleichen Sorgfalt beispielsweise Parkfunktionen getestet. Zudem enthielt unser Line-up auch Fahrzeuge ohne NoP, um die gesamte Bandbreite des Marktes abzubilden.

Haben sich die Nutzerführung und das HMI-Verhalten weiter verbessert? Gibt es neue Standards bei Audio- und Displayfeedback?

Ricco Kämpfer: Grundsätzlich lassen sich die Funktionen auch in diesem Jahr sehr einfach aktivieren und deaktivieren, ähnlich wie im Vorjahr. Zudem wird stets klar angezeigt, wann der Fahrer das Lenkrad wieder berühren muss, auch wenn die Zeitintervalle zwischen den Systemen teils deutlich variieren. Die ‚Environmental Perception‘-Ansicht ist in allen Fahrzeugen gut und detailliert gestaltet, wobei einige Systeme hier besonders hervorstechen. Bei den Parkfunktionen war die Bedienung meist sehr intuitiv: Ein Parkplatz oder der Parkvorgang lassen sich häufig mit nur einem einzigen Klick im Display auswählen. Besonders positiv hervorzuheben ist ein Feature, das beispielsweise Huawei integriert hat: Hier wird dem Fahrer visuell und bei Bedarf auch per Sprachausgabe vermittelt, welches Manöver das Fahrzeug als Nächstes ausführen wird – ein Feature, das aus unserer Sicht die Akzeptanz deutlich steigern kann. Dennoch muss erwähnt werden, dass entgegen der europäischen Wahrnehmung nicht alle HMI-Funktionen in den vor Ort getesteten chinesischen Fahrzeugen reibungslos funktionieren. Funktionen wie die Kopplung des Handys, das Abspielen bestimmter Videoinhalte oder die Innenraumsteuerung zeigten teilweise Schwächen. Die Menüführung bei den ADAS-Einstellungen wirkt zudem stellenweise überfordernd. Aus Sicherheitsaspekten besonders kritisch ist aus meiner Sicht die Möglichkeit, während der Fahrt Videoinhalte auf dem Frontdisplay anzuschauen – ein Risiko, das dringend adressiert werden sollte.

Gab es technische Überraschungen – zum Beispiel durch Updates (z. B. ADS 3.0 bei Aito) oder Newcomer im Line-Up?

Ricco Kämpfer: Die größte Überraschung für uns war der deutliche Leistungssprung von Li Auto. Auch Huawei zeigte erneut eine starke Performance und lag nur knapp hinter dem Testsieger. Im Vorjahr belegte der Li Auto Mega den vierten Platz, während sich in diesem Jahr der Li Auto L9 Ultra bis auf den ersten Platz vorarbeiten konnte. Bemerkenswert ist, dass in diesem Modell das AD Max System von Li Auto integriert ist, das sowohl eine E2E als auch eine Vision-Language-Modell-Architektur (VLM) kombiniert und neben einem NVIDIA Orin SoC zusätzlich einen Lidar-Sensor verwendet. Der Li Auto L9 AD Pro, ausgestattet mit einem Horizon-Chip, ohne Lidar und VLM, belegte bei uns den vorletzten Platz. Das AD Pro ist die Einstiegsvariante des ADAS und deutlich weniger leistungsfähig als das AD Max System.

Wer sind die Gewinner und wer die Schlusslichter im diesjährigen ADAS Benchmark? Bleibt Huawei führend?

Ricco Kämpfer: Li Auto mit dem AD Max System sichert sich in diesem Jahr den Testsieg. Huawei (Qiankun ADS 3.2) folgt knapp dahinter auf dem zweiten Platz. Die Bronzemedaille geht an den Xpeng X9, der zugleich das teuerste ADAS-Stack im Testfeld besitzt. Mit deutlichem Abstand landet der BYD Xia Dynasty auf dem vierten Platz. Das DiPilot 100 System von BYD ist dabei die Einstiegsvariante und kann mit den anderen getesteten Systemen nicht mithalten. Dennoch belegt es immerhin mit Blick auf die ADAS-Kosten den ersten Platz.

Wie hat sich das Abschneiden im internationalen Vergleich verändert – gibt es Hoffnung für europäische OEMs?

Ricco Kämpfer: Für europäische OEMs wird es auch in Zukunft entscheidend sein, im chinesischen Markt mit lokalen Technologieanbietern im Bereich ADAS zusammenzuarbeiten, da der Vorsprung der chinesischen Anbieter kaum einzuholen ist. Auf dem europäischen Markt besteht weiterhin Hoffnung, denn fast alle chinesischen OEMs kämpfen dort mit ähnlichen Problemen und Systemschwächen – vereinfacht gesagt, funktionieren viele Lösungen noch nicht ausgereift. Die europäischen Hersteller haben ihre L2-Systeme über Jahre optimiert, doch der Übergang zu L2+ wird auch im Volumensegment notwendig sein. Gleichzeitig arbeiten chinesische OEMs bereits sehr gezielt an der Markteinführung ihrer intelligenten ADAS-Lösungen außerhalb des heimischen Marktes.

Gab es Fortschritte in der Sensorik oder Systemstabilität, z. B. bei Lidar, SoC oder kamerabasierten Systemen?

Ricco Kämpfer: Der Trend in China geht nicht nur hin zu End-to-End-Modellen, sondern auch zu kostengünstigeren Vision-Only-Ansätzen, gegebenenfalls ergänzt durch Radar. Lidar-Sensoren werden insbesondere bei L2+ und L2++ eher als Marketinginstrument betrachtet, sind aber nicht zwingend erforderlich, um eine sehr gute Systemperformance zu erreichen.

Wie unterscheidet sich das europäische Format vom China-Event – sowohl in der Durchführung als auch in den Teilnehmerprofilen?

Ricco Kämpfer: In Europa haben wir aufgrund der geografischen Gegebenheiten den Vorteil, neben Autobahn- und urbanen Szenarien auch problemlos Überlandfahrten durchzuführen und zu testen. In China ist dies etwas schwieriger umzusetzen, obwohl wir bereits erste Ideen für zukünftige Events haben. In China lag der Fokus dieses Jahr zudem auf einem etwas verkürzten Kundenevent, mit stärkerem Schwerpunkt auf Testfahrten. Das war vor allem darauf zurückzuführen, dass die Teilnehmer durch die Auto Show und andere Termine zeitlich eingeschränkt waren. Das europäische Eventformat zeichnet sich hingegen durch einen stärkeren Workshop-Charakter und bessere Networking-Möglichkeiten aus. Davon können wir für zukünftige Veranstaltungen in China sicherlich profitieren.

Welche Fahrzeuge wurden in Stuttgart getestet? Lag der Fokus stärker auf europäischen OEMs oder war das Line-up international?

Marius Müller: In Stuttgart wurden insgesamt neun aktuelle Serienfahrzeuge mit Fokus auf L2/L2+ ADAS-Funktionalitäten getestet. Das Line-up war bewusst international zusammengestellt und umfasste Modelle sowohl etablierter europäischer OEMs als auch führender chinesischer und amerikanischer Hersteller. Konkret wurden der BMW i5, Mercedes EQE, Porsche Macan 4, VW ID.7, Tesla Model Y, Polestar 4, Nio EL6, Xpeng P7 sowie der BYD Seal untersucht. Ein besonderer Fokus lag dabei auf der Performance der chinesischen Fahrzeuge im europäischen Umfeld. Ziel war es, potenzielle Unterschiede in der geografischen Leistungsfähigkeit – insbesondere im Vergleich zwischen dem europäischen und dem chinesischen Markt – zu analysieren.

Welche ADAS-Funktionen standen im Zentrum des europäischen Benchmarks? Gab es funktionale Unterschiede im Testumfang im Vergleich zu China?

Marius Müller: Im Zentrum des europäischen Benchmarks standen in erster Linie klassische Level-2-ADAS-Funktionen. Mit Ausnahme des BMW i5, der über ein L2+ System verfügt, lag der Fokus auf dem breiten Funktionsspektrum aktueller Serienfahrzeuge, wie es europäische Endkundinnen und -kunden heute erleben. Getestet wurden alle verfügbaren Assistenzsysteme mit Relevanz für den Nutzer. Darunter Längs- und Querführungsassistenten, sowie Parkassistenzsysteme zusätzlich das Anzeige- und Bedienkonzept. Im Vergleich zu unserem Benchmark in China unterscheiden sich damit sowohl der Systemfokus als auch die funktionale Bandbreite: Während dort zunehmend L2++ Systeme und NoP-Funktionalitäten zum Standard werden, spiegelt der europäische Benchmark eher den aktuellen Serienstand in Europa wider.

Wie schneiden europäische Fahrzeuge in ihrem Heimmarkt ab? Gibt es Unterschiede in der Nutzererwartung oder in der Systemperformance?

Marius Müller: Europäische Fahrzeuge dominieren weitestgehend im Heimatmarkt und überzeugen in puncto Systemverfügbarkeit sowie im Funktionsspektrum (s. BMW i5 mit L2+ auf Autobahnen) gegenüber Herstellern aus dem chinesischen bzw. US-amerikanischen Markt. Besonders positiv fallen dabei die sehr stabile Spurhaltung sowie qualitativ hochwertige, zuverlässige Spurwechsel auf. In Kombination mit einer prädiktiven Streckenführung – dort, wo sie bereits verfügbar ist, erfüllen die Systeme die Erwartungen europäischer Nutzer in hohem Maße. Diese legen traditionell besonderen Wert auf hohe Compliance und klar geregelte Handover-Logik statt auf maximale Aggressivität oder Funktionsbreite. Strenge Driver-Monitoring-Systeme tragen dabei entscheidend zur Akzeptanz und zum Vertrauen in die Systeme bei.

Wurden Unterschiede in der Software-Reife oder Update-Strategie sichtbar zwischen den Regionen?

Marius Müller: Zwischen den Regionen zeigen sich deutliche Unterschiede sowohl in der Software-Reife als auch in der Update-Strategie. Während in China die Update-Kadenz deutlich höher ist und neue Funktionen oft zunächst regional begrenzt pilotiert werden, laufen Updates in Europa stärker reguliert und mit klarer Homologationsfreigabe, was naturgemäß zu längeren Zyklen führt. In den USA wiederum sind Beta-Programme mit Early-Access-Gruppen stärker etabliert. Unterschiede zeigen sich zudem in der Datenbasis: chinesische Anbieter arbeiten meist mit großen Flotten und eng verzahnten Daten-Pipelines, während europäische Hersteller wie Mercedes-Benz oder BMW vor allem auf Prozesse setzen, die Compliance und funktionale Sicherheit absichern. Insgesamt ergibt sich so ein sehr unterschiedliches Bild von „Schnelligkeit versus Regeltreue“, das stark durch die jeweilige Marktumgebung geprägt ist.

Was waren die größten Überraschungen oder Diskussionsthemen beim Event in Europa?

Marius Müller: Beim Benchmark in Stuttgart sorgten vor allem zwei Aspekte für positive Überraschungen: Zum einen überzeugte BMW mit der Kombination aus L2+ auf Autobahnen und einem sehr konsequent umgesetzten Driver-Monitoring-System. Zum anderen stieß die besonders detaillierte Umfelderkennung von Nio auf großes Interesse, insbesondere durch die anschauliche Visualisierung im HMI, die Transparenz und Vertrauen beim Nutzer schafft. Auf der kritischen Seite wurde dagegen diskutiert, dass Systeme wie bei Polestar im Pilotbetrieb aktuell auf eine Maximalgeschwindigkeit von 130 km/h limitiert sind, was in der europäischen Autobahnrealität als klare Einschränkung wahrgenommen wird.

Gibt es Pläne, künftig regionale Editions des Index (z. B. China, Europa, USA) zu konsolidieren oder gezielt miteinander zu vergleichen?

Ricco Kämpfer: Aktuell gibt es keine Pläne, die Benchmark-Reports zu konsolidieren. Zwar nutzen wir bereits marktübergreifend dasselbe Testframework und dieselbe Report Struktur, wodurch eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse bis zu einem gewissen Grad möglich ist. Allerdings bestehen Einschränkungen bei der Vergleichbarkeit der Systemperformance, da es in Europa bislang kaum L2+ Funktionalitäten gibt, während L2++ in China bereits als Commodity gilt. Andere Aspekte, die wir neben der reinen Systembewertung berücksichtigen, wie beispielsweise Stack-Kosten oder die Wertschöpfungskette, sind hingegen bereits identisch aufgebaut. Das bedeutet, dass die marktspezifischen Reports eine sehr ähnliche Struktur haben und auf demselben Testframework basieren, die Ergebnisse aber nicht eins zu eins miteinander vergleichbar sind.

Wie schätzen Sie die Marktentwicklung chinesischer OEMs und Technologiepartner ein – insbesondere in Bezug auf Europa?

Marius Müller: Die Marktentwicklung chinesischer OEMs und Technologiepartner in Europa wird in den kommenden Jahren stark von zwei gegensätzlichen Kräften geprägt sein: einerseits von der technologischen Reife und Wettbewerbsfähigkeit der Anbieter, andererseits von regulatorischen Hürden und geopolitischen Spannungen. Viele chinesische Hersteller bringen heute bereits L2+-Funktionalitäten in der Breite auf die Straße, die in Europa erst vereinzelt verfügbar sind. Dies verschafft ihnen einen deutlichen Geschwindigkeitsvorteil, sowohl in Bezug auf Funktionsumfang als auch auf Update-Kadenz. Gleichzeitig investieren Player wie BYD oder Nio massiv in Markenaufbau, lokale Vertriebsnetze und teilweise auch Produktionsstandorte, um europäische Kunden gezielt anzusprechen. Auf der anderen Seite wirken steigende Importzölle, Sicherheitsbedenken und die Forderung nach lokaler Wertschöpfung als Bremse. Es ist daher realistisch, dass chinesische OEMs in Europa nicht flächendeckend, sondern zunächst segmentiert Erfolge erzielen, etwa in klar definierten Marktsegmenten wie Premium-Elektrofahrzeugen oder bei technologieaffinen Early Adopters. Mittel- bis langfristig wird der Markterfolg daher maßgeblich davon abhängen, ob es den chinesischen Anbietern gelingt, Vertrauen in Marken, Servicequalität und Datensouveränität aufzubauen und gleichzeitig ihre Lokalisierungsprozesse effizient genug zu gestalten, um Geschwindigkeit und Skalierung nicht zu verlieren.

Wo sehen Sie die größten strategischen Handlungsfelder für europäische OEMs und Zulieferer?

Marius Müller: Für europäische OEMs und Zulieferer zeichnen sich vier strategische Handlungsfelder besonders deutlich ab: Erstens gilt es, den Ausbau von L2+- und NoP-Funktionen voranzutreiben, jedoch konsequent mit EU-Compliance-by-Design, um regulatorische Hürden frühzeitig zu adressieren. Zweitens steht die Kostenreduktion der Sensor- und Computer-Stacks im Fokus, da Wirtschaftlichkeit ein entscheidender Wettbewerbsfaktor gegenüber asiatischen und US-amerikanischen Anbietern ist. Drittens müssen Map-light- und Mapless-Ansätze stärker entwickelt werden, um eine robuste Funktionalität auch außerhalb von kartierten Highways sicherzustellen. Und viertens wird der Aufbau eines belastbaren Safety Case essenziell, um die zunehmenden Anforderungen an funktionale Sicherheit und Homologation zuverlässig zu erfüllen.

Welche Rolle spielt der ADAS Benchmark innerhalb Ihrer Beratungsprojekte mit OEMs und Zulieferern?

Ricco Kämpfer: Als führende Technologieberatung verfügen wir über umfassendes Know-how in Software und Hardware. Dabei ist es uns wichtig, Systeme nicht nur qualitativ zu analysieren und zu bewerten, sondern auch quantitativ zu messen. Das verleiht uns eine hohe Glaubwürdigkeit – nicht nur in unserem Heimatmarkt, sondern auch in China, wo wir bei führenden OEMs und Technologieanbietern mittlerweile ein sehr gutes Standing genießen. Die Kundenevents im Rahmen unserer Benchmark-Studien sehen wir daher auch als eine Art Dankeschön für das entgegengebrachte Vertrauen. Die Teilnehmer dieser Events werden deshalb niemals willkürlich ausgewählt.

Können Sie einen Ausblick auf die Weiterentwicklung des Benchmarks für 2026 geben?

Ricco Kämpfer: Wie bereits erwähnt, überprüfen wir unser Testframework regelmäßig hinsichtlich Aktualität, Relevanz und Abdeckung marktspezifischer Anforderungen. Dabei arbeiten wir eng mit unseren Kolleginnen und Kollegen in China und den USA zusammen. Insbesondere in China beobachten wir derzeit eine zunehmende Entwicklung in Richtung Level 3. Unser Framework enthält hierzu bereits erste Testfälle als Platzhalter – künftig wird es hier jedoch sicherlich noch weitere Detaillierungen und Anpassungen geben.

Was würden Sie europäischen Stakeholdern raten, um im Software-definierten Fahrzeug und bei ADAS den Anschluss nicht zu verlieren?

Marius Müller: Um im Wettbewerb rund um das Software-definierte Fahrzeug und moderne ADAS-Systeme nicht ins Hintertreffen zu geraten, sollten europäische Hersteller ihre Stärken gezielt mit neuen Prioritäten verbinden. Im Zentrum steht der intelligente Umgang mit Daten: Nur wer große Flottenrückmeldungen systematisch sammelt und auswertet, kann seine Systeme schnell und robust weiterentwickeln. Parallel dazu muss die Fähigkeit zu sicheren und regelmäßigen OTA-Updates ausgebaut werden, damit Innovationen nicht mehr an Modellzyklen gebunden sind. Ebenso entscheidend ist der Aufbau tragfähiger Partnerschaften mit Technologie- und Cloud-Anbietern, um Geschwindigkeit und Innovationskraft zu erhöhen. Schließlich darf die Kostenperspektive nicht vernachlässigt werden: Sensorik, Rechenleistung und Energieverbrauch müssen so optimiert werden, dass technologische Spitzenleistungen auch in Volumenmodellen wirtschaftlich skalierbar bleiben.

Danke Ihnen beiden für das Interview.

0 Kommentare

zu „P3 ADAS Benchmark: Li Auto übernimmt die Spitze“

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert