Retrofitting: Im ersten Leben ein Diesel, im zweiten ein Elektrobus

Umrüstspezialist e-troFit hat seinen Demo-Fahrzeugpool ausgebaut, um einem größeren Kreis an interessierten Fuhrparkbetreibern umgerüstete Elektro-Busse für Praxistests anzubieten. Das sogenannte Retrofitting bestehender Verbrenner-Stadtbusse ist aus wirtschaftlichen und ökologischen Gründen ein an Relevanz zulegendes Thema.

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Umrüstungen am Fließband – das ist kein Widerspruch, wenn es nach der e-troFit GmbH geht. Das Unternehmen aus Denkendorf in Bayern setzt bei der „Entdieselung“ von Bussen auf eine Serien-Umrüstlösung, die sich für bestehende und neue Nutzfahrzeuge eignet. Die Firma stellt Betreibern damit nach eigenem Bekunden einen „schnellen und kostengünstigen Einstieg in die Elektromobilität“ in Aussicht. Vor allem soll’s bedarfsgerecht zugehen: „Wir analysieren die Streckenprofile der Dieselbusse im laufenden Betrieb und ermitteln so den tatsächlichen Batteriekapazitätsbedarf“, teilt das Unternehmen mit. Denn während oft die Sorge vor zu wenig Reichweite vorherrscht, gerät schnell aus dem Fokus, dass zu große Batteriesysteme im Gegensatz unnötige Kosten und Gewicht verursachen.

„Im Vergleich zum Neukauf ist die Umrüstung dank geringerer Anschaffungskosten und schnellerer Lieferzeiten eine wirtschaftlich äußerst sinnvolle Alternative“, äußert Andreas Hager, Chef der e-troFit GmbH. Die Wirtschaftlichkeit gegenüber Dieselbussen ergebe sich durch die Preisvorteile über die Laufzeit. Und mit dieser Beurteilung steht der Unternehmensleiter nicht alleine da: Ende 2018 erhielt die Tochter der in-tech GmbH für ihre Umrüst-Lösung den Deutschen Mobilitätspreis, der von der Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ und dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur vergeben wird.

Inzwischen stehen erste Serien-Umrüstkits zur Auswahl. Dazu gleich mehr. Für e-troFit geht es nun darum, die Lösungen im Markt bekannt zu machen. „Wir bauen nun sukzessive unsere Flotte an Testfahrzeugen aus. Wir wollen interessierten Stadtwerken, Verkehrsbetrieben und privaten ÖPNV-Flottenbetreibern die Möglichkeit bieten, unser auf höchsten Qualitäts- und Sicherheitsstandards basierendes elektrisches Antriebssystem im Linienbetrieb ausgiebig zu testen“, äußert Alexander Lietz, Leiter Vertrieb Bus D/A/CH der e-troFit GmbH.

Test-Topografien von Hamburg bis Südtirol

Im zweiten Quartal 2021 fanden unter anderem Tests bei der Verkehrsgesellschaft Kirchweihtal im Allgäu, bei der Regiobus Idar-Oberstein, der Regiobus Potsdam-Mittelmark und den Verkehrsbetrieben Hamburg-Holstein statt. Auch international sei das Interesse groß. So absolviere die SAD Bozen in Südtirol aktuell Tests im Linienbetrieb – „in einer anspruchsvollen alpinen Region bis zu den Bergpässen der Dolomiten“, wie es heißt. Für die kommenden Wochen stehen weitere Erprobungen auf dem Programm, zum Beispiel bei der Stadtbus Bad Kreuznach GmbH.

Einige Fürsprecher hat e-troFit dabei gewonnen, etwa Michael Bechteler, Geschäftsführer der Verkehrsgesellschaft Kirchweihtal in Kaufbeuren. Nach einer einwöchigen Testphase, in der ein umgerüsteter Bus im Linienbetrieb und im Schulbusverkehr erprobt wurde, konstatiert dieser, dass „der Bus im Testbetrieb überzeugen konnte“. Und weiter: „Retrofitting ist für uns der Schlüssel zum schnellen Einstieg in die Elektromobilität.“ Ein weiteres Unternehmen, das Busse aus seinem Bestand umrüsten lässt, ist Scharf OHG Omnibus & Reisebüro. „Für die laufenden Betriebskosten ist gerade der Stromverbrauch eine wichtige Kerngröße. Die hocheffiziente Energienutzung des Fahrzeugs hat uns begeistert – genau wie das gesamte e-troFit Lösungspaket mit einer intelligenten Ladeinfrastruktur“, so Geschäftsführer Martin Scharf.

Neben dem Fahrzeug erhalten die Unternehmen für die Tests stets ein mobiles Ladegerät, mit dem der Testbus über Nacht laden kann. Nach Vereinbarung der Testmodalitäten und Festlegung des Zeitraums erfolge vor Ort oder auf Wunsch auch virtuell die Einweisung in Fahrzeug und Technologie. Ergänzt wird dieses Paket um Beratungsleistungen zum Bezug möglicher staatlicher Förderungen, zur Finanzierung bis hin zur Projektierung und Implementierung von Ladeinfrastruktur.

Noch sind die Lösungen von e-troFit nicht sehr lange auf dem Markt. Ihren ersten, über ein Serien-Kit umgerüsteten Elektrobus haben die Denkendorfer im September 2020 in Landshut übergeben. Es handelte sich dabei um einen Mercedes-Benz CitaroC1 628045. Laut dem Unternehmen ein in die Jahre gekommenes Modell, das mit rund 1.000 Fahrzeugen europaweit immer noch weit verbreitet ist, vor allem im südosteuropäischen Raum.

Kits für die „in Europa verbreitetsten Modelle“

Im nächsten Schritt strebt e-troFit an, eine serielle Elektrifizierungslösung für den CitaroC1 Facelift 628083 bereitzustellen. Anschließend ist der Mercedes-Benz CitaroC2 an der Reihe. Grundsätzlich kündigt e-troFit für die  nächste Zeit „weitere serienreife Elektrifizierungslösung für Bestandsnutzfahrzeuge“ an. Dabei solle es sich um Retrofitting-Kits für die „in Europa verbreitetsten Modelle“ handeln. Konkret angekündigt ist etwa auch eine Lösung für den MAN Lion City A21, verfügbar voraussichtlich ab Dezember 2021.

Die Verkaufspreise für die Umrüstkits inklusive Umbau im Busbereich beziffert e-troFit je nach Fahrzeugmodell und Anforderung an die Reichweiten auf eine Preisspanne von etwa 300.000 bis 360.000 Euro. Dafür gebe es eine Lösung nach höchsten Automotive-Standards und kurzfristige Verfügbarkeit in höheren Stückzahlen. Nach einer initialen Analysephase, die je nach Aufwand drei bis sechs Monate dauert und unter anderem die eingangs genannte Strecken-Analyse beinhaltet, könne die Umrüstung innerhalb weniger Wochen stattfinden.

Das Umrüst-Kit besteht konkret aus den Komponenten Antriebsstrang, Vehicle Control Unit, Batteriemodule (die im Motorraum und bei Bedarf auf dem Dach montiert werden), Nebenaggregaten, Heizung/Klimatisierung, Telematik-Einheit und Fahrer-Zusatzdisplay sowie TÜV-Gutachten und TÜV-Fahrzeugzulassung gemäß der vorherigen Einsatzart des Fahrzeugs. Die Hauptkomponenten des Kit werden von Voltabox, ZF und Valeo zugeliefert. Den eigentlichen Retrofitting-Vorgang beschreibt e-troFit wie folgt: „Zuerst werden mit der Entdieselung alle Komponenten des Antriebstrangs und der Nebenaggregate entfernt, bevor danach die Aufbereitung des Fahrzeugs erfolgt. Anschließend kann das e-troFit-Kit von den Fachleuten montiert und in Betrieb genommen werden.“ Der gesamte Prozess dauere circa vier bis sechs Wochen und finde in Partnerwerkstätten statt.

Zurück erhalten die ÖPNV-Betreiber Batterie-elektrische Fahrzeuge mit einer Spitzenleistung von 250 Kilowatt und einem maximalen Drehmoment von 22.000 Nm. Die einzelnen Batteriemodule kommen auf je 60 Kilowattstunden Speicherkapazität, ihre Anzahl ist variabel. Die Reichweite der Linienbusse gibt e-troFit mit „in der Regel 200 bis 250 Kilometern“ an. Das sei ausreichend und auch realisierbar.

e-troFit ist in Denkendorf ansässig, aber mit vier Vertriebs- und Entwicklungsstandorten auch in Österreich, Italien, Spanien und Bulgarien vertreten. Seit ihrer Ausgründung 2019 arbeiten ihre rund 75 Mitarbeiter an der Entwicklung, Serienproduktion und dem Vertrieb serieller Nachrüstlösungen. Ein internationales Partnernetz soll Service und Verfügbarkeit in ganz Europa garantieren.

Marktpotenzial: 8.000 Umrüstungen binnen zehn Jahren

Für den Umrüstmarkt sieht das Unternehmen große Chancen: e-troFit leitet aus der Analyse des Markts ab, dass „mit den oben genannten Solobus-Fahrzeugen das Marktpotenzial bei konservativer Betrachtung bei rund 8.000 Umrüstungen innerhalb der nächsten zehn Jahre liegt“. Und weiter: „2030 wird somit jeder zehnte neu zugelassene emissionsfreie Stadtbus ein mit e-troFit-Technologie elektrifiziertes Fahrzeug sein.“ Zusätzlich will e-troFit sein Portfolio diversifizieren: Kürzlich schickte die bisher vor allem auf Busse fokussierte Firma erstmals auch einen umgerüsteten Lkw – einen Batterie-elektrischen Mercedes Actros MP3 – in die Kundenerprobung. Den Eintritt in den Lkw-Markt plant e-troFit für das erste Quartal 2022.

Der Zeitpunkt ist günstig: Die EU-Kommission hat erst dieser Tage eine vom Bundesverkehrsministerium zur Notifizierung vorgelegte Förderrichtlinie für Nutzfahrzeuge mit alternativen Antrieben genehmigt. Konkret sollen Neuanschaffungen ebenso wie die Umrüstung auf alternative Antriebe mit bis zu 80 Prozent der Investitionsmehrausgaben im Vergleich zu einem Dieselfahrzeug gefördert werden. Bei Umrüstungen gilt dies für Fahrzeuge der Klassen N2 und N3, also Transport-Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen.

Außerdem setzt e-troFit nach eigenen Angaben auf die Clean Vehicles Directive, die bei der öffentlichen Auftragsvergabe erstmals verbindliche Mindestziele für die Beschaffung emissionsarmer und -freier Pkw und Nutzfahrzeuge – insbesondere für Busse im ÖPNV – vorgibt. Die Vorgaben gelten ab dem 2. August 2021 und verpflichten die öffentliche Hand sowie für einzelne Dienstleitungen auch einige privatrechtlich organisierte Akteure (z.B. Post- und Paketdienste, Stadtreinigung) dazu, dass ein Teil der angeschafften Fahrzeuge zukünftig emissionsarm oder -frei sein muss.

Der politische Rahmen sowie sich zunehmend durchsetzende ökologische und ökonomische Überzeugungen von Nutzfahrzeug-Flottenbetreibern sind erkennbar die Treiber der steigenden Nachfrage nach Umrüst-Lösungen. Dabei befindet sich e-troFit in guter Gesellschaft. Allein in Deutschland buhlen mehrere Umrüstspezialisten um Kunden, darunter Framo aus Thüringen,  Quantron aus Augsburg und EFA-S aus Schwaben.
e-trofit.com

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