Smart Charging: Wie E-Autos zur Stütze des Stromnetzes werden sollen

Die Sektorkopplung zwischen Energie und Mobilität hat die Ladesäule zur Schnittstelle. In der Ausgabe „Smart Charging“ unserer Online-Konferenz „electrive.net LIVE“ haben wir führende Köpfe der Branche um Einsichten in ihre Tools, Projekte und Visionen gebeten, wie sich an dieser Naht zwischen bisher weitgehend getrennten Welten ganz neue Synergien ergeben. Hier geht es zum Konferenzbericht.

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Die Ladeinfrastruktur für E-Pkw ist den Kinderschuhen entwachsen – und wie es sich für einen Teenager unserer Zeit gehört, ist inzwischen fast alles digital und vernetzt. Auf Ladelösungen übertragen heißt diese Entwicklung, dass Themen, wie bidirektionales Laden, V2G/V2H und smarte Abrechnungsmodelle immer weitergedacht werden. Auch die Netz- und Energiewirtschaft erahnt zunehmend das Potenzial, das in E-Fahrzeugen mit ihren großen Energiespeichern schlummert.

Durch das Zusammenrücken der Sektoren reifen Ideen für Geschäftsmodelle der Zukunft heran. Darin sind sich alle Speaker des Tages einig – von Marcus Fendt (The Mobiliy House), Christian Adolph (Webasto) sowie Johanna Kardel (Elli) und Michael Lehmann (MitNetz Strom GmbH) im ersten Panel über Marco Piffaretti (sun2wheel AG) und Hans Thies (GP JOULE Connect) bis hin zu Hauke Lapschies (IO-Dynamics) im zweiten Panel des Tages. Smart Charging schließt dabei sowohl mono- als auch bidirektionales Laden ein, wobei für Letztgenanntes weiterhin der regulatorische Rahmen fehlt.

Laut Marcus Fendt, Geschäftsführer von The Mobility House (TMH) und Auftaktspeaker der von electrive.net-Redakteurin Carla Westerheide moderierten „Smart Charging“-Ausgabe, könnte sich da aber bald etwas ändern: Von einer Zusammenkunft am Vortrag kann Fendt berichten, dass zurzeit im Bundeswirtschaftsministerium „massiv daran gearbeitet wird, V2G jetzt zu bringen“. The Mobility House gehört zu den großen Verfechtern dieser Technologie. Fendt bezeichnet sie als „unser absolutes Steckenpferd“.

In seinem Vortrag spricht der TMH-Fachmann darüber, dass „Smart Charging“ in Form von einer optimierten Netzauslastung heute in größeren Projekten schon Standard ist. „Spätestens ab 15 E-Fahrzeugen muss man sich mit intelligentem Laden beschäftigen und auch hinter dem Zähler optimieren, um einen teuren Netzausbau zu vermeiden“. Fendt erläutert dem am Bildschirm zugeschalteten Publikum das Einmaleins der Controller- und/oder Cloud-basierten Systemarchitekturen, beruhigt gleich darauf, dass „auch Handys und PC anfangs kompliziert waren“, ermutigt aber, sich jetzt in solche Details einzuarbeiten, um später zu profitieren.

Dass V2G nicht mehr ferne Zukunftsmusik ist, unterstreicht der TMH-Geschäftsführer mit langen Listen von Fahrzeug- und Ladegeräte-Marken, die den bidirektionalen Austausch von Strom bereits heute unterstützen. Außerdem anhand von Pilotprojekten, mit denen The Mobility House letztmals 2022 die Machbarkeit und Lukrativität dieser Schlüsselfunktion unterstrichen hat. „Und hochrelevant wird Smart Charging auch bei dem kommenden E-Lkw-Hochlauf. Da geht es um ganz andere Strommengen“, prophezeit Fendt schon einmal.

Setzen sich beim bidirektionalen Laden AC- oder DC-Lösungen durch?

Welche Vor- und Nachteile jeweils bidirektionale AC- und DC-Lösungen bieten, führt Christian Adolph, Manager Product Portfolio – Charging Systems bei Webasto Group, den Zuschauern im Anschluss vor Augen. Sein Credo: Auch wenn Webasto derzeit eine AC-Lösung verfolgt, ist der Wettbewerb zwischen den beiden Technologien noch lange nicht entschieden. Die technischen Unterschiede hängen mit den sogenannten Netzanschlussbedingungen zusammen. Während die vorgegebenen Netzschutz-Funktionen beim Gleichstrom-Laden vom Ladegerät abgedeckt werden, übernimmt bei AC-Lösungen auch der Onboard-Charger im Fahrzeug einen Teil dieser Aufgaben, weswegen eine solche bidirektionale Lösung komplexer ist.

Ein aus Adolphs Sicht wichtiger Punkt ist, dass AC-Wallboxen jedoch günstiger sind und somit mehr Menschen Zugang hätten. Bei den Herstellern ergibt sich laut dem Webasto-Manager ein gemischtes Bild. Deutsche E-Autobauer setzten derzeit noch auf DC-Ladelösungen, während sich beispielsweise Hersteller in den USA eher auf AC fokussieren. Der Wettbewerb sei also somit noch nicht entschieden. Eine DC-Wallbox für das bidirektionale Laden wird es dennoch von Webasto in nächster Zeit nicht geben.

„Am Ende muss es sich für den Kunden rechnen“

Mit Johanna Kardel, Head of Regulatory Affairs Energy bei Elli und Michael Lehmann, Leiter Prozess- und Systemmanagement bei der Mitteldeutschen Netzgesellschaft Strom mbH, macht ein Duo weiter, das vor allem der politischen Diskussion um den § 14a EnWG mit Ergebnissen aus einem gemeinsamen Pilotprojekt einen neuen Spin geben will. „Es ist fast immer von den Notfall-Eingriffen der Netzbetreiber die Rede, dabei hat der Hochlauf der E-Mobilität  ein riesiges Potenzial für das Energiesystem, wenn eine smarte Netzintegration der E-Autos erfolgt“, so Kardel. Die Flexibilisierung des Systems sei der Schlüssel, um zu verhindern, dass wie 2022 rund 6.000 GWh an erneuerbaren Energien abgeregelt werden müssen.

Netzfachmann Michael Lehmann vergegenwärtigt, dass bei einem „erheblichen Überschuss an erneuerbaren Energien auch kein Netzausbau hilft“. Er berichtet, wie 20 Teilnehmer des erwähnten Pilotprojekts mit bereits vorhandenen Wallboxen im Netzgebiet durch ein unter anderem Anreiz-gesteuertes Lade-Timing für eine bessere Auslastung des Netzes sorgten. „Am Ende muss es sich für den Kunden rechnen. Anbieter wie Elli können das Laden optimieren. Wir als Netzwirtschaft wollen das nicht managen, das ist nicht unser Business“, so Lehmann. Für ihn ginge es eher darum, kompatible Nahtstellen zu kreieren.

Als ein konkretes Ergebnis seines Projekts gibt das Duo an, dass der Anteil der Ladeenergie, die netzdienlich verschoben werden konnte, bei zwölf Prozent lag. „Ein in Zukunft ganz erheblicher Hebel“, sind sich beide einig. Im gesamten Vortrag thematisieren sie dabei nur die Optimierung von monodirektionalem Laden („Das ist die Pflicht, das bidirektionale Laden die Kür“). Kardel gibt sich optimistisch, damit wichtige Impulse für den § 14a zu geben. Die zweite Konsultationsrunde zu dem Paragrafen sei für den Sommer angesetzt – „und Ziel ist nach wie vor zum 1.1.2024 eine fertige Festlegung zu haben“.

Wie stark belastet bidirektionales Laden die Fahrzeugbatterie?

In der anschließenden gemeinsamen Diskussion des ersten Panels ist die Batterie-Alterung durch bidirektionales Laden eines der Kernthemen. Das zusätzliche Entladen bedeutet ein Mehr an Zyklen – so weit, so zweifelsfrei. Laut Webasto-Mann Adolph ist eine pauschale Aussage zu einer womöglich schnelleren Alterung schon deshalb nicht möglich, weil verschiedene Batterietypen mit variierender Zyklenfestigkeit auf den Markt sind. Auch zwischen V2H und V2G bestünden „Riesenunterschiede“. Elli-Vertreterin Kardel setzt die etwaige Mehrbelastung der Batterien mit jenen Vorteilen entgegen, die man mit dieser Fähigkeit erwirtschaften könne. Die Praxis dürfte nach Meinung aller bald Klarheit bringen – „und dann müssen wir daraus Lernen – und uns verbessern“, so das Credo.

Auch die Aufgaben der Politik werden im Panel erörtert, wobei TMH-Chef Fendt sich wundert, „wie sehr sich die Politik in technischen Details verliert, anstatt die großen Leitlinien vorzugeben und die Industrie Lösungen suchen zu lassen“. Wichtig ist ihm auch, dass bidirektionales Laden am Ende nicht nur von gut betuchten Eigenheimbesitzern praktiziert wird, sondern dass Ziel der Technologie ein „Gesamtoptimum des Markts“ sein – und man „das ganze Land mitnehmen“ müsse.

Nach der Mittagspause übernimmt mit Marco Piffaretti, Mit-Gründer und Verwaltungsrat-Präsident der Sun2Wheel AG, ein eMobility-Pionier aus der Schweiz. Er schildert, wie Unternehmensschwester EVTEC bereits seit zehn Jahren die Fähigkeit zum bidirektionalen Laden verfeinert. Ziel der Neugründung Sun2Wheel sei, „das bidirektionale Laden zum Standard machen“. Piffaretti berichtet, wie sein Team mit digitalen Lösungen bereits erfolgreich im V2H-Geschäft Fuß fasst – und wie es aus seiner Sicht „naheliegend ist, diese Erkentnisse auf V2G zu übertragen“.

Mit dem einjährigen Projekt „V2X-Suisse“ läuft in der Schweiz aktuell ein Feldversuch mit 50 Honda-Elektroautos, die während ihrer Stehzeiten einen Teil ihrer Batteriekapazitäten zur Verfügung stellen. Piffaretti geht auf Details der Steuerungs-Plattform ein, die von der Wettervorhersage über die Signale von den Netzbetreibern bis zu den Fahrzeugbuchungen alles bündelt und in konkrete  Lade- und Entladebefehle umwandelt. V2G ist auch seiner Sicht nur noch eine Frage der Zeit. Während sich Sun2Wheel auf dem Schweizer Markt „seinen Job machen will“, sucht Piffaretti für die EU Partner, um die Technologie in die Breite zu bringen. „Wir lernen jeden Tag dazu und wollen das über Partnerschaften weitergeben.“

Eine PV-Anlage auf dem Dach des Ladeparks bringt nur begrenzte Autarkie

Hans Thies, Abteilungsleitung Geschäftsfeldentwicklung von GP JOULE Connect ist im Anschluss die Verknüpfung von öffentlichen Ladeparks und der lokalen Erzeugung von erneuerbarer Energie besonders wichtig. Sein Unternehmen hat in sieben Jahren rund 5.000 Ladepunkte projektiert. Er stellt fest, wie sich nicht mehr nur die „early adopters“, sondern so langsam auch die „early majority“ der E-Mobilität zuwenden. Damit Ladeparks zur Energiewende beitragen, müssen aus seiner Sicht 100 Prozent erneuerbare Energien in der Fahrzeugbatterie landen und für die Nutzer „ein Preisvorteil entstehen“.

Statt die erneuerbaren Energien etwa in Form einer PV-Anlage auf den Dach von Tankstellen oder Supermärkten zu den Ladeparks zu schaffen (was in Thies Berechnungen nur eine begrenzte Autoarkie schafft), muss aus Sicht des GP-Joule-Fachmanns „der Ladepark zu den Ernereuerbaren“, also nah an vorhandene PV- und Windparks heranrücken. Außerdem gilt es laut Thies, die Kunden auch beim öffentlichen Laden stärker zu involvieren, etwa indem man ihnen durch Direct Payment entgegenkomme. „Kunden müssen ihren Beitrag zur Energiewende verstehen und Mehrwert davon haben.“

„Bestenfalls merken die Fahrzeugnutzer gar nicht, was im Hintergrund passiert“

Mit Hauke Lapschies, Chief Business Development Officer von IO-Dynamics, betont ein Vertreter aus dem Digitalen, wie eine intelligente Ladeplanung das Stromnetz entlasten kann. Das erst fünf Jahre alte Unternehmen verspricht ein Angebot zum netzdienlichen Laden, das allen voran Kunden aus der Last-Mile-Lieferbranche, Firmenfuhrparks, Bus- und Lkw-Betreibern sowie Kunden der Immobilienwirtschaft einen Mehrwert schafft. „Der Mobilitätsbedarf sollte nicht unterschätzt werden“, so Lapschies. „Bestenfalls merken die Fahrzeugnutzer gar nicht, was im Hintergrund passiert.“

IO-Dynamics‘ intelligente Ladeplanung basiert auf KI und integriert umfangreiche Datensätze, um stets eine Ladeprognose für die nächsten 24 Stunden zu berechnen, „die mit der Zeit immer besser wird“. Lapschies ist überzeugt, dass es zur Integration eines Maximums erneuerbarer Energien Prognosen braucht – und diese auch heute schon möglich sind.

In der abschließenden Panel-Diskussion erörtern die drei Speaker des Nachmittags unter anderem die Zielgruppe solcher Ladeplanungs-Tools. Lapschies nennt vor allem den B2B- und weniger den B2C-Bereich. „Seien wir ehrlich: Wer will privat seine Fahrzeugbuchung jeden Abend für den Folgetag eingeben? Das ist eher etwas für große Flotten“.

GP-Joule-Repräsentant Thies berichtet unter anderem von einer neuen App namens Youle seines Unternehmens, die zeigt, wie viel erneuerbare Energie gerade und in den nächsten 24 Stunden im Netz ist und dabei hilft, den eigenen Energieverbrauch an die Verfügbarkeit von grünem Strom anzupassen. „Der Sprung von den Early Adopters zu der Early Majority ist schwer. Wir müssen jetzt Vertrauen schaffen und zeigen das es geht“, so Thies.

Und Sun2Wheel-Mitgrüner Piffaretti geht noch einmal auf die potenzielle vorschnelle Alterung der Batterien durch bidirektionales Laden ein: „Ja es gibt zusätzliche Zyklen, aber es sind weniger belastende Zyklen, denn die Lasten sind gering. Dennoch: Ja, sie belasten die Batterie.“ Dafür werde das Vollladen auf 100 Prozent sehr selten. „Und das lange Stehen bei 100 Prozent ist ein bei Experten anerkannter Alterungsfaktor! Insofern könnte das V2G-Laden sogar ein gesundheitsfördernder Aspekt sein. Das werden wir künftig herausfinden müssen.“

Und nächsten Monat geht es weiter mit unserer Online-Konferenz: Die 29. Ausgabe von „electrive.net LIVE“ findet am 24. Mai statt – dann mit dem Thema: „E-Mobilität für schwere Nutzfahrzeuge“.

1 Kommentar

zu „Smart Charging: Wie E-Autos zur Stütze des Stromnetzes werden sollen“
Helmuth Stannies
02.05.2023 um 16:48
Hallo zusammenIch bin soo sehr an einer V2H Fahrzeuglösung interessiert, aber es gibt einfach keine konkreten Angebote dafür. Konkret geht es um einen FIAT 500e. Ich wünsche mir ein Komplettangebot von Wallbox plus Fahrzeug, incl. Montage und ggf. allen erforderlichen Klärungen mit dem örtlich zuständigen Netzbetreiber.

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