Europastart für Amazons E-Lieferwagen von Rivian

Amazon bringt nun auch in Europa die ersten Elektro-Lieferwagen des US-Herstellers Rivian auf die Straßen. Der europäische Rollout beginnt in Deutschland: Über 300 der E-Transporter von Rivian werden in den nächsten Wochen im Raum München, Berlin und Düsseldorf in Betrieb genommen.

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Sie werden laut Amazon Teil einer Flotte von „Tausenden elektrischen Fahrzeugen“ anderer Hersteller, die für den Onlineversandriesen in Europa bereits unterwegs sind, darunter über 1.000 Exemplare in Deutschland. Nun folgen also die Rivian-Transporter, die in den USA bereits seit 2022 in den Verkehr gebracht werden. Die Zusammenarbeit zwischen Amazon und dem E-Auto-Startup geht bekanntlich auf das Jahr 2019 zurück, als Amazon mit Rivian die Abnahme von 100.000 Elektro-Transportern bis zum Jahr 2030 vereinbarte.

Interessant dabei: Für Europa haben Amazon und Rivian gegenüber der im Oktober 2020 erstmals vorgestellten US-Version einen kürzeren und schmaleren Van entworfen, der „für den Verkehr in europäischen Städten ausgelegt ist“, wie es in einer begleitenden Mitteilung des Onlineversandkonzerns heißt. Dass es verschiedene Größen und Ausstattungen des EDV (kurz für „Electric Delivery Vehicle“) gibt, ist keine Überraschung.

Bereits 2021 ging aus Rivian-Unterlagen für die US-Behörde NHTSA hervor, dass zunächst zwei Varianten des E-Transporters namens EDV-500 und EDV-700 gebaut werden sollen. Die Bezeichnungen greifen dabei das Ladevolumen der Modelle in Kubikfuß auf. Es handelt sich also um Varianten mit einem Laderaum von umgerechnet 14,1 bzw. 19,8 Kubikmetern. Eine dritte Variante mit einem Ladevolumen von 900 Kubikfuß (umgerechnet 25,5 Kubikmeter) soll zu einem späteren Zeitpunkt folgen. Alle Varianten nutzen die Skateboard-Plattform von Rivian, auf der auch der E-Pickup R1T und das E-SUV R1S des noch jungen Autobauers basieren.

Die 500er-Version ist laut den damaligen Angaben sowohl als Links- als auch als Rechtslenker geplant. Aus dem Dokument ging zudem hervor, dass die E-Transporter in den Ausstattungsvarianten S (Service) und Z (Amazon) produziert werden. US-Medien interpretieren dies dahingehend, dass das S-Modell für andere Flottenkunden als Amazon geplant sein könnte, sobald deren Exklusivvertrag mit Rivian endet. Dazu gleich noch Details.

Auch unter widrigen Bedingungen bis zu 200 km

Inzwischen hat Rivian teils die aktuellen technischen Daten des für Europa vorgesehenen EDV-500 publik gemacht. Der Lieferwagen wird an der Front von einem selbst entwickelten Motor angetrieben, der jenem des Pickup Rivian R1T ähneln soll. Die Batterie aus LFP-Zellen kommt auf einen Energiegehalt von 100 kWh und soll auch unter widrigen Bedingungen bis zu 200 Kilometer Reichweite gewährleisten. Die CCS-Ladeleistung wird mit 50 kW angegeben.

Zum Motor präzisiert die „Auto, Motor, Sport“ übrigens, dass im Fahrzeugschein 137 kW Motorleistung und eine Topgeschwindgkeit von 112 km/h angegeben werden. Das verwundert etwas, denn sollte der Antrieb ähnlich des Radnabenmotors des R1T ausfallen, dann wären eher Werte von 300 bis 522 kW zu erwarten.

Weniger widersprüchlich sind die Maße des EDV-500. Diese betragen 6,31 x 2,45 x 2,9 Meter bei einem Radstand von glatt 4 Metern. Die Abmessungen des 14,1 Kubikmeter großen Laderaums umfassen 2,09 Meter in der Höhe und 1,93 Meter in der Breite. Als Wendekreis gibt Amazon 14,6 Meter an, als Wert für die Bodenfreiheit knapp 18 Zentimeter und als cW-Wert 0,33. Zur Ausstattung gehören mehrere Fahrassistenzsysteme, ein beheizbarer Fahrersitz und eine auf den Fahrer ausgerichtete Klimaanlage.

Der EDV-700 ist mit 7,04 Metern gut 70 Zentimeter länger, dieser Zugewinn schlägt voll auf den Radstand aus, der auf 4,75 Meter wächst. Zum technischen Aufbau dieser in den USA eingesetzten Variante ist noch wenig bekannt.

Tausende von Ladestationen an Verteilzentren

Fakt ist, die für Deutschland angekündigten EDV-500 werden bereits Serien- und keine Testfahrzeuge mehr sein. Wie der Rollout nach den gut 300 Exemplaren für München, Berlin und Düsseldorf weitergehen soll, präzisiert Amazon nicht. So bleibt auch offen, welche anderen europäischen Märkte als nächstes dran sein sollen. An den Verteilzentren in Deutschland hat Amazon unterdessen bereits Ladeanlagen installiert, ohne jedoch Details zu nennen. Zur Versorgung der Fahrzeuge habe man Tausende von Ladestationen an seinen Standorten in ganz Europa eingerichtet und werde auch zukünftig in den Aufbau von Infrastruktur investieren, lautet das einzige Statement des Konzerns zu diesem Punkt.

„Gemeinsam haben Amazon und Rivian ein hochmodernes Elektrofahrzeug von Grund auf neu entwickelt und produziert. Es ist anders als alles, was aktuell auf den Straßen unterwegs ist“, wird Neil Emery, Director Global Fleet & Product bei Amazon, in der Mitteilung des Onlinehändlers zitiert. „Die Sicherheit und der Komfort der Fahrerinnen und Fahrer unserer Partner haben für uns dabei die höchste Priorität. Mit dem Fahrzeug, das wir heute in Deutschland vorstellen, setzen wir mit Blick auf beide Aspekte neue Maßstäbe.“

Amazon hatte im Oktober 2022 angekündigt, in den nächsten fünf Jahren mehr als eine Milliarde Euro in die Erweiterung seiner Elektro-Flotten und den Ausbau seiner Ladeinfrastruktur in Europa zu investieren, davon 400 Millionen Euro in Deutschland. Geplant sei, die Anzahl der E-Transporter in Europa von derzeit gut 3.000 auf mehr als 10.000 Exemplare im Jahr 2025 zu erhöhen und zudem mehr als 1.500 elektrische Lkw zu beschaffen, hieß es seinerzeit. Und: Mit der Elektro-Offensive solle an den europäischen Standorten die Installation von „Tausenden von Ladegeräten“ für die E-Transporter sowie „Hunderten von speziellen Schnellladern“ für die E-Lkw einhergehen.

Mit Blick auf Deutschland präzisierte Amazon damals, dass nicht nur geplant sei, 400 Millionen Euro in das Logistiknetz in der Bundesrepublik zu investieren, sondern auch ein Drittel der künftigen E-Lkw – als gut 500 Stück – hierzulande eingesetzt werden sollen. Auf Deutschland liegt bei der eMobility-Offensive ergo der Hauptfokus des US-Konzerns. Bekannt ist bereits, dass Amazon in Deutschland 2022 die ersten 20 Elektro-Lkw des Typs FH Electric von Volvo Trucks in Empfang genommen hat und im laufenden Jahr auch den Batterie-elektrischen Fernverkehrs-Lkw Mercedes-Benz eActros LongHaul im Realbetrieb testen will.

Amazon hat sich verpflichtet, bis 2040 im gesamten Unternehmen CO2-neutral zu werden. Den Transportbereich bezeichnet der Onlineversandriese als „zentral auf diesem Weg“. Amazon-CEO Andy Jassy kommentierte die Dekarbonisierungs-Ambitionen seines Konzerns jüngst wie folgt: „Unser Transportnetzwerk ist einer der anspruchsvollsten Bereiche unseres Unternehmens, der dekarbonisiert werden muss. Um Netto-Null-Emissionen zu erreichen, sind erhebliche und nachhaltige Investitionen erforderlich. Der Einsatz tausender elektrischer Lieferwagen, Langstrecken-Lkw und Fahrräder wird uns dabei helfen, uns weiter von traditionellen fossilen Brennstoffen zu entfernen – und hoffentlich auch die Transport- und Automobilindustrie in Europa und auf der ganzen Welt ermutigen, weiter zu skalieren und Innovationen hervorzubringen, denn wir müssen zusammenarbeiten, um unsere Klimaziele zu erreichen.“

Verhandlung zur Aufhebung der Exklusivitätsklausel?

In den USA sollen nach Angaben von Amazon aktuell bereits 3.000 Exemplare des EDV-700 im Einsatz sein und mehr als 500 amerikanische Städte und Regionen beliefern. Laut „Auto, Motor, Sport“ haben Amazon und Rivian auch jetzt noch einmal das Ziel von 100.000 Rivian-Transportern für Amazon bis 2030 bestätigt.

Beide Seiten sind eng miteinander verknüpft: Amazon ist mit einem Anteil von 20 Prozent der größte Einzelaktionär bei Rivian. Es gibt aber neben der Lieferwagen-Ausstattungsvarianten S (Service) für möglicherweise andere Kunden vermehrt Hinweise, dass Rivian seine E-Lieferwagen künftig auch anderen Unternehmen anbieten will und deshalb mit Amazon über die Aufhebung der bisher bestehenden Exklusivitätsklausel verhandelt.

Hintergrund ist nach Informationen des Wall Street Journal aus dem Frühjahr, dass die Bestellungen von Amazon offenbar unter den Erwartungen liegen. Die Exklusivitätsklausel geht auf das Jahr 2019 zurück, als Amazon mit Rivian die Abnahme besagter 100.000 Elektro-Transporter bis 2030 vereinbarte. Amazon soll aber für das Jahr 2023 nur rund 10.000 E-Transporter bei Rivian fix bestellt und damit unter den Erwartungen des E-Mobility-Unternehmens geblieben sein. Laut den Rivian-internen Quellen, auf die sich das WSJ beruft, sei es nicht das erste Mal, dass Amazon bei seinen verbindlichen Bestellungen am unteren Rand der vereinbarten Spanne bleibe.

2022 verbuchte Rivian tiefrote Zahlen

Rivian steht unter Druck, die in das Unternehmen gesetzten Erwartungen zu erfüllen und die Produktion weiter hochzufahren. Im vergangenen Jahr konnte Rivian 20.332 Elektrofahrzeuge ausliefern, aufgrund der Investitionskosten in die Skalierung der Produktion stieg der Verlust aber auf 6,75 Milliarden Dollar. Anfang Februar wurde daher bereits über einen weiteren Stellenabbau berichtet.

Laut „Auto, Motor, Sport“ will Rivian auf Nachfrage nicht bestätigen, dass es neben Amazon weitere Kunden oder Interessenten für den EDV gebe. Aus Amazon-Kreisen ist dem Automagazin zufolge derweil zu hören, dass es bis 2030 wohl mehrere Fahrzeuggenerationen des Rivian EDV geben wird und der EDV-500 sowie der EDV-700 lediglich die erste Generation in einer Serie der insgesamt 100.000 georderten Fahrzeuge bildeten.

Doch zurück zum Europa-Launch des Transporters. Dagan Mishoulam, Vice President Strategy & Go To Market bei Rivian, kommentiert den Schritt wie folgt: „Wir freuen uns, dass die elektrischen Lieferfahrzeuge heute in Deutschland eingeführt werden. Das Fahrzeug wurde mit unseren Partnern bei Amazon entwickelt und stellt nicht nur Komfort und Sicherheit der Fahrerinnen und Fahrer in den Vordergrund, sondern auch die Umwelt. Von den Fahrerinnen und Fahrer haben wir großartiges Feedback erhalten und jetzt sind wir gespannt darauf, die internationale Expansion in Deutschland zu starten. Der heutige Tag ist ein wahrer Meilenstein für uns und wir freuen uns sehr auf unsere Zukunft in der Region.“
presseportal.de, auto-motor-und-sport.de (Paywall)

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