Italienische H2-Bus-Offensive verschafft Solaris neues Absatzniveau

Innerhalb kürzester Zeit hat der polnische Hersteller Solaris zwei Großaufträge aus Italien publik gemacht: 130 Wasserstoff-Busse gehen nach Bologna und Ferrara, 90 nach Venedig. Bei ersterem Auftrag gibt es eine Option auf 140 weitere H2-Busse. Für Solaris ist es die bisher größte Bestellung von Wasserstoff-Bussen in Europa.

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Der italienische ÖPNV-Betreiber Trasporto Passeggeri Emilia-Romagna (TPER) ist Auftraggeber für die 130 Exemplare des Solaris Urbino 12 Hydrogen – 127 sind für den Einsatz im Großraum Bologna und drei für die Stadt Ferrara gedacht. Die ersten 37 der fix bestellten 130 Wasserstoff-Busse sollen 2024 ausgeliefert werden, der Rest in den Jahren 2025 und 2026. Der Vertrag sieht zudem eine Option auf 140 weitere H2-Busse vor, die bis 2025 gezogen werden kann.

Die Bedeutung dieser Order wird daran deutlich, dass Solaris nach eigenen Angaben bisher erst gut „120 wasserstoffbetriebene Einheiten an rund ein Dutzend Kunden in acht Ländern geliefert“ hat. Zu erwähnen ist dabei, dass der 18 Meter lange Gelenkbus Urbino 18 Hydrogen seit 2022 im Sortiment der Polen ist. Der Solobus Urbino 12 Hydrogen in seiner jetzigen Form ist seit 2019 auf dem Markt.

Solaris bezeichnet die Flotten-Transformation im Becken von Bologna und Ferrara („bacini provinciali di Bologna e Ferrara“) als „eines der größten Projekte für Wasserstoff-Brennstoffzellenbusse in Europa“. In einer früheren Mitteilung hatte der verantwortliche ÖPNV-Betreiber TPER die Investition für den Kauf der H2-Busse und der entsprechenden Tankinfrastruktur auf gut 90 Millionen Euro taxiert. Seinerzeit waren die drei Busse für Ferrara aber noch nicht einkalkuliert.

Das Großprojekt stemmt TPER im Schulterschluss mit der Stadt Bologna und der städtischen Nahverkehrsbehörde SRM (Reti e Mobilità Srl). Die Finanzierung soll allen voran mit EU-Geldern aus Italiens Aufbau- und Resilienzplan PNRR (Piano Nazionale di Ripresa e Resilienza) erfolgen. Während TPER den Kauf der Fahrzeuge und die Installation der Wasserstofftankstellen in ihren Depots verantwortet, begleitet SRM den Prozess vor allem als Kontrolleinheit.

Die 127 Wasserstoff-betriebenen Busse werden in der Metropolregion Bologna (die Stadt selbst ist mit ihren fast 400.000 Einwohnern eine der zehn größten Städte Italiens) eine Reihe bereits vorhandener emissionsfreier Fahrzeuge ergänzen – darunter Oberleitungsbusse und Batterie-elektrische Busse. Die Stadt bezeichnet den Ausbau der emissionsfreien Flotte als einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu dem Ziel, Bologna bis 2030 klimaneutral zu machen. Hintergrund ist, dass Bologna zu den 100 sogenannten europäischen Zero-Impact-Städten gehört, die im Rahmen der Mission Horizon Europe bereits bis 2030 Klimaneutralität anstreben.

Schauen wir uns TPER noch etwas genauer an: Der öffentliche Verkehrsbetreiber entstand 2012 aus der Fusion der Transportzweige von ATC, einem Straßentransportunternehmen aus Bologna und Ferrara, und FER, einem regionalen Eisenbahnunternehmen. Er gehört zu über 90 Prozent der Region Emilia-Romagna sowie der Stadt und Metropolregion Bologna, bedient aber neben Bologna auch Ferrara und Imola sowie die Metropolregion Bologna und die Provinzen um Ferrara, Modena und Ravenna. Die Busflotte umfasst rund 1.200 Fahrzeuge (die Zugsparte und ein E-Carsharing vernachlässigen wir an dieser Stelle). In den ersten zehn Jahren seines Bestehens tauschte TPER nach eigenen Angaben mehr als 600 Busse aus, „wodurch Bologna bereits heute unter den italienischen Großstädten den höchsten Anteil an emissionsarmen Bussen hat“, wie der Betreiber unter Verweis auf neue Zahlen des italienischen Statistikamts ISTAT betont.

TPER setzt bei Elektrifizierung auf einen Mix verschiedener Antriebsarten

Bei der Elektrifizierung strebt TPER einen Mix verschiedener Antriebsarten an, zu dem Bus-seitig – wie oben kurz notiert – Batterie-O-Busse, BEV und FCEV – gehören werden. In den Stadtzentren sollen vollständig elektrische Trolleybuslinien mit IMC-Fahrzeugen („In Motion Charging“) entstehen, Batterie-elektrische Busse mit Nacht- und Zwischenladungen will TPER ebenfalls in urbanen Gebieten einsetzen, in sinnvoller Ergänzung zu einem Straßenbahnnetz, das in den kommenden Jahren ebenfalls Gestalt annehmen soll. Auf Bologna übertragen sollen auf diese Weise das Stadtgebiet und der ersten Stadtgürtel abgedeckt werden. Die Wasserstoff-Fahrzeuge sollen jenseits davon auf vor- und außerstädtischen Strecken in den Dienst geschickt werden.

Zurzeit verfügt TPER in und um Bologna über 75 Stadtbuslinien (davon 5 O-Bus-Linien), 15 Vorort-Buslinien und 139 Überlandbuslinien. In und um Ferrara sind es 19 städtische und 54 Überlandbuslinien. Das Unternehmen selbst spricht von „einem heterogenen Verkehrsnetz, das sich von den Gebirgszügen des Apennins bis zu den Verbindungen mit den Adriaküsten erstreckt und zusätzlich Stadtgebiete umfasst“. Insofern geht TPER auch bei der Antriebstechnologie heterogen vor. Aktuell schätzt der Betreiber, dass Wasserstoffbusse etwa zwölf Prozent der gesamten Fahrzeugflotte ausmachen werden. Das entspräche gut 140 Fahrzeugen. Die oben genannte Option auf wesentlich mehr H2-Busse sei u.a. für Beteiligungen oder Partnerunternehmen gedacht, heißt es.

Woher der Wasserstoff stammen wird, mit dem die H2-Busse betankt werden, erwähnt TPER nicht konkret. Das Unternehmen verweist jedoch darauf, dass ein Regierungsdekret in Italien grünes Licht für die Schaffung von Wasserstofftälern mit Unterstützung für die Produktion von grünem Wasserstoff in stillgelegten Industriegebieten gegeben habe, der auch im Nahverkehr verwendet werden kann. „Der Wasserstoff entspricht den Leitlinien der PUMS („Piani urbani per la mobilità sostenibile“, also den urbanen Plänen für eine nachhaltige Mobilität, Anm. d. Red.) der Metropolregion Bologna und der Ausrichtung der Region Emilia-Romagna, die vor kurzem eine Ausschreibung für die Produktion von grünem Wasserstoff, ebenfalls mit PNRR-Ressourcen, veröffentlicht hat“, äußert das Unternehmen.

Im Januar wurde zudem bekannt, dass TPER die österreichische Wolftank Group als industriellen Partner für seine Wasserstoffinitiative ausgewählt und im Juni einen ersten Teil-Auftrag im Wert von 9,5 Millionen Euro zur Installation von Wasserstoff-Tanksystemen an vier Standorten in Emilia Romagna ausgelöst hat. Die Tanksysteme sollen bis Ende 2024 betriebsbereit sein. Der Auftrag ist Teil eines größeren Rahmenvertrags, der ein Volumen von 30 Millionen Euro bis 2026 umfasst.

AVM ordert 90 H2-Busse für Venedig

Von Bologna in das 150 Kilometer nordwestlich gelegene Venedig: Dort ordert Azienda Veneziana della Mobilita (AVM) ebenfalls H2-Busse in großem Stil bei Solaris. Der jetzt publik gemachte Vertrag umfasst 90 fix bestellte Urbino Hydrogen (75 Solo- und 15 Gelenkbusse), die zwischen November 2025 und Anfang 2026 ausgeliefert werden sollen. Optional kann AVM zusätzlich 13 Solo- und fünf Gelenkbusse mit Brennstoffzellenantrieb nachordern.

Bekannt gegeben hat AVM die Großbestellung bei der Einweihung der ersten vier in der Stadt eingeflotteten Wasserstoff-Busse von Solaris. Auch hier sind es nicht die ersten lokal emissionsfreien Busse im Linienverkehr: 2020 lieferte Solaris bereits 30 Batterie-elektrische Urbino 12 electric samt Ladeinfrastruktur, die den gesamten öffentlichen Verkehr auf den zu Venedig gehörenden Inseln Lido und Pellestrina bedienen.

Während bei den Batterie-Bussen die Ladeinfrastruktur mitgeliefert wurde, geht bei den BZ-Bussen aus der Solaris-Mitteilung nicht hervor, wo diese betankt werden sollen und woher der Wasserstoff stammen wird. Ein interessantes Detail ist, dass sich bei den Wasserstoff-Bussen für die AVM die Betankungsventile erstmals auf beiden Seiten der Busse oberhalb des vorderen Radkastens befinden.

Der Urbino 12 hydrogen soll mit seinen fünf Wasserstoff-Tanks (mit einem Fassungsvermögen von 37,5 kg H2) auf eine Praxis-Reichweite von 350 Kilometern kommen. Der Wasserstoff wird in einer 70 kW starken Brennstoffzelle zu Strom umgewandelt. Neben der Brennstoffzelle ist eine relativ kleine Traktionsbatterie verbaut, die als Puffer für Leistungsspitzen genutzt wird. Der längere Urbino 18 hydrogen fährt mit einer 100 kW starken Brennstoffzelle vor und kommt mit einem H2-Fassungsvermögen von bis zu 51,2 kg ebenfalls auf eine Reichweite von bis zu 350 Kilometern.

Steigendes Interesse an Wasserstofftechnologie in Europa

Solaris schiebt noch hinterher, dass in Europa das Interesse an einer emissionsfreien Lösung auf Basis der Wasserstofftechnologie stetig steige. Die Polen sehen sich als europäischer Marktführer in diesem Segment und konnten in der Tat dieses Jahr auch aus Deutschland schon mehrere größere Aufträge einsammeln, etwa 52 bestellte H2-Busse von der Rebus Regionalbus Rostock, 18 von der Regionalverkehr Köln, 25 von der Duisburger Verkehrsgesellschaft und zehn vom Frankfurter ÖPNV-Betreiber In-der-City-Bus

Gut veranschaulicht ist die Verteilung von H2-Bussen in Deutschland im jüngsten E-Bus-Radar der Unternehmensberatung PwC. Spitzenreiter bei den mit Wasserstoff betriebenen Bussen war zum Jahreswechsel 2022/2023 mit weitem Abstand die Region Köln: Dort waren zu dem Stichtag 72 Brennstoffzellenbusse im Einsatz. Also genau die Hälfte aller in Deutschland zum Jahreswechsel zugelassenen FCEVs. Auf den Plätzen zwei und drei folgten Wuppertal (20) und Frankfurt (13).

Solaris stärkster europäischer Konkurrent als Hersteller für Wasserstoff-Stadtbusse dürfte CaetanoBus sein. Die Portugiesen bauen unter anderem bis zu 60 H2-Busse für die Deutsche Bahn und ebenfalls 60 Einheiten für Straßburg. Mercedes-Benz hat mit dem eCitaro fuel cell zwar seit Kurzem ebenfalls einen H2-Bus im Sortiment, allerdings dient der Wasserstoff an Bord rein als Range-Extender.
solarisbus.com (Bologna und Ferrara), solarisbus.com (Venedig), ferpress.it, bolognatoday.it, live.comune.venezia.it (alle drei auf Italienisch)

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