Wie E-Autos die Energiewelt verändern – und umgekehrt

Die Mobilitätsbranche ist im Umbruch – und die Energiebranche ebenso: Ein spannender Zeitpunkt, um die Möglichkeiten der Sektorenkopplung zugunsten der Elektromobilität, aber auch mit Blick auf die Netzstabilität auszuloten. Ein Thema, wie gemacht für unsere jüngste Online-Konferenz „electrive.net LIVE“.

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Angesichts von immer mehr ladenden Elektroautos rückt die Kapazität der Stromnetze automatisch in den Fokus. Begriffe wie netzdienliches Laden und Lastmanagement gehören bei Ladeinfrastruktur-Projekten deshalb ab einer gewissen Größenordnung schon heute zum Standard-Vokabular. In der 9. Ausgabe unserer Online-Konferenz „electrive.net LIVE“ haben sieben Branchenköpfe vor unserem virtuell zugeschalteten Fachpublikum erörtert, was über diese bereits praktizierten Lösungen hinaus künftig „noch geht“ – und dabei die Schnittmenge von Mobilitäts- und Energiebranche bis zur Grenze des Vorhersagbaren ausgeleuchtet. Im Zentrum dabei vor allem: Pufferspeicher und das bidirektionale Laden, auch unter Vehicle-to-Grid (V2G) bekannt.

Unter dem Titel „Elektromobilität im Energiesystem der Zukunft” findet sich bei „electrive.net LIVE“ diesmal folgendes Who-is-who ein: Im ersten Panel teilen sich Hauke Hinrichs (SMATRICS) & Karl Potz (Verbund), Marcus Fendt (The Mobility House) und Dr. Hans Henning Thies (GP Joule) die digitale Bühne. Nach der Mittagspause schließen sich Vorträge von Nicolai Woyczechowski (virta), Lena Jungkamp (Schneider Electric) und Kay Wiedemann (TransnetBW) an. So unterschiedlich die Expertinnen und Experten ihre Schwerpunkte setzen, so einig sind sie sich in einem Punkt: Technisch ist bei der Netzintegration von Elektroautos schon viel mehr machbar, als zurzeit in Deutschland umgesetzt wird. Der Grund: Fehlende oder veraltete Regularien bremsen die Entwicklung!

Im Rampenlicht stehen an diesem Tag weniger Elektroautos an sich als vielmehr die Ladeinfrastruktur und ihre vorgelagerten Systeme als Bindeglied zur Energiewelt. Das österreichische Duo Hauke Hinrichs und Karl Potz greift zum Warm-up das Themenfeld des öffentlichen HPC-Ladens auf, das an vielen Standorten einen teuren Netzausbau erfordert – es sei denn, es kommen sogenannte Pufferspeicher zum Einsatz, die langsam Strom aus dem Netz aufnehmen und diesen bei Bedarf schnell an ladende Autos abgeben.

Hinrichs, Geschäftsführer des Ladeinfrastruktur-Anbieters Smatrics, führt aus, wie solche Puffer gefürchtete Ladespitzen erfolgreich kappen können. Das sei auch nötig, denn „DC-Ladevorgänge werden immer wichtiger und bilden starke Leistungsspitzen“, legt Hinrichs anhand von Statistiken aus seinem Haus dar. Smatrics kooperiert bekanntlich mit der EnBW und treibt analog zu deren HPC-Offensive in Deutschland den Ausbau des HPC-Netzes in Österreich voran. „Pufferspeicher bei HPC sind langfristig ökonomisch sinnvoll“, lautet Hinrichs Credo.

Mal eben hingestellt sind die containergroßen Pufferbatterien allerdings nicht: Karl Potz vom Energieversorger Verbund betont, dass es noch keine Plug&Play-Lösungen sind – und wohl auch nicht so schnell werden, da sie „eine Menge Ingenieurwissen erfordern“. Verbund testet im Pilotprojekt Synerg-e (zusammen mit Smatrics und Allego) aktuell 500-kW-Batteriespeicher an zehn HPC-Standorten in Österreich und Deutschland. Potz betont, dass die Batterien dabei auch als Speicher zum flexiblen Ausgleich volatiler Stromerzeugung getestet werden – also als das viel zitierte virtuelle Kraftwerk.

Die Eigenschaft von Batterien – ob stationär oder in E-Autos –, als Energiequelle bidirektional agieren zu können, ist auch Kern von Marcus Fendts Vortrag. Der Geschäftsführer von The Mobility House vergegenwärtigt, dass mit dem Hochlauf der Elektro-Fahrzeuge „eine Welle neuer Energieverbraucher kommt, aber gleichzeitig auch eine enorme Stromspeicherkapazität“. Bei prognostizierten 10 Millionen Elektroautos im Jahr 2030 belaufe sich die theoretische Speicherkapazität der Stromer auf rund 500 GWh. Ein Riesenpotenzial zum Ausbalancieren der tendenziell volatilen Netze (2030 soll der Anteil erneuerbarer Energien am Strommix auf 65 Prozent steigen). Technisch ist V2G laut Fendt möglich, was fehlt sei die richtige Regulierung.

An potenziellen Geschäftsmodellen mangelt es nicht: Fendt streift den Paragrafen 14a des Energiewirtschaftsgesetzes, der nach einer kürzlichen Reform u.a. Verbrauchern beim Laden mehr Rechte im Bereich dynamischer Stromtarife einräumt. Außerdem erwähnt er einen einwöchigen V2G-Test, in dessen Zuge ein bis auf fünf Stunden immer ans Stromnetz angeschlossenes Auto durch die Bereitstellung von Primärregelleistung rund 50 Euro erwirtschaftet hat. Geld verdienen mit Elektroautos – ein technisch definitiv machbares Szenario.

Das bestätigt auch Dr. Hans Henning Thies von GP Joule Connect. Er bringt den Aspekt der Erzeugung erneuerbarer Energien mit in den Diskurs. Oft müssten wegen temporärer Überkapazitäten Windräder angehalten werden. Thies wurmt das: Die auf diese Weise verlorene Energie würde allein in Schleswig-Holstein – Heimat von GP Joule – tausende Ladevorgänge gratis ergeben. Die Elektromobilität könnte als Brücke dienen, Thies schlägt ergänzend dezentrale Elektrolyseure zur Erzeugung von Wasserstoff vor.

Aus der Geschäftspraxis von GP Joule teilt Thies weitere Erfahrungen mit dem Fachpublikum. Er stellt Fallbeispiele zur Elektrifizierung einer Tiefgarage und eines E-Carsharings vor – und erläutert an diesen Exempeln, dass Elektromobilitätsprojekte immer eine Abwägung zwischen Ressourcen und realem Bedarf erfordern. Ergebnis dieser Abwägung ist die Qualität. Auch Abstriche bei der Qualität seien manchmal sinnvoll: „Größere Qualitätseinbußen in Form der Zurückstellung des eigenen Bedarfs sind zum Beispiel bei einer entsprechenden Monetisierung denkbar“, kommt Thies wieder auf das Thema des Geldverdienens mittels V2G.

Im zweiten Panel vergegenwärtigt Nicolai Woyczechowski, wie das ablaufen kann. Sein Arbeitgeber Virta, ein Anbieter von Ladeplattform-Technologien für Elektroautos, testet bereits V2G-Laden in seinem Headquarter in Helsinki. In Finnland gibt es bereits ein regulatorisches Gerüst dafür. Woyczechowski hat dazu aufschlussreiche Hintergrundinfos parat: In Finnland und beispielsweise auch in Großbritannien sei der Energiemarkt schlicht weniger Komplex: „Es gibt nur einen Übertragungsnetzbetreiber, in Deutschland sind es vier. In Großbritannien sind es 14 Verteilnetzbetreiber, in Deutschland mehr als 900.“

Ohne Zweifel sei das Potenzial der „Batterien auf Rädern“, wie der Geschäftsführer von Virta Elektroautos gern bezeichnet, im Energiesystem der Zukunft immens. „Jeder Energiespeicher für sich ist klein, aber zusammengeschaltet ergeben sich gewaltige Speicherkapazitäten.“

Wieder etwas breiter rollt Lena Jungkamp von Schneider Electric das Tagesthema auf. Der Fokus ihrer Firma liege auf der intelligenten Energieverteilung und -steuerung. Ein besonderes Anliegen sind Jungkamp sogenannte Microgrids wie sie Schneider Electric unter anderem auf dem EUREF-Campus in Berlin mitgestaltet und in einem neuen Projekt auch am Düsseldorfer Flughafen aufbaut. Dabei werden Elektromobilität, lokale Stromerzeugung, Last- und intelligentes Gebäudemanagement zusammengedacht.

„Nur mit dem, was wir auf dem EUREF-Campus an Strom erzeugen, könnten wir ganz Berlin 20 Minuten lang versorgen“, ist das markanteste Zitat von Jungkamp. Auch sie sieht bidirektionales Laden als wichtige Komponente im künftigen Energiesystem. Microgrids sind aus ihrer Sicht dabei ein Mittel, „damit uns die Komplexität nicht von Anfang an erschlägt“. Beherrsche man das Ökosystem, könnten diese Quartiere dann zusammenwachsen.

Eine völlig andere Perspektive bringt zum Abschluss Kay Wiedemann vom Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW in die Runde. Die Elektromobilität verfolgt er aus der Beobachtersicht. „Wir schauen uns das genau an“, so Wiedemann. Das Potenzial von Elektroautos zur Stabilisierung der Netze sieht er ebenso wie seine Vorredner, gibt sich aber etwas zurückhaltender: „Wir müssen überlegen, wie wir das nutzbar machen können.“ Warum er diese Haltung an den Tag legt, wird in seinem Vortrag deutlich, in dem Wiedemann den Begriff der Regelreserve zerlegt und ausführt, welche Mechanismen wirken, wenn die Netzfrequenz von 50 Hz abweicht. Auf die Reserve muss 100 Prozent Verlass sein, auch was Sicherheitsaspekte angeht: „Wir fallen unter die kritische Infrastruktur, das bringt zum Beispiel ganz spezielle IT-Anforderungen mit sich.“

Gleichwohl engagiert sich TansnetBW in einem Pilotprojekt u.a. mit dem niederländischen Ladespezialist Jedlix, um das Potenzial von Elektrofahrzeugen zur Bereitstellung von Regelreserve zu untersuchen. Geplant ist vor diesem Hintergrund ein Feldversuch, der in seinem Umfang in Deutschland einzigartig sein soll – und zu dem wir bereits im Januar Details berichtet haben.

Aufs Zuhören ist das Fachpublikum unterdessen auch bei dieser Ausgabe der Online-Konferenz nicht beschränkt. Die Sprecher gehen in anschließenden Diskussionen nicht nur auf Fragen von electrive.net-Chefredakteur Peter Schwierz ein, sondern beziehen auch zu Fragen aus dem Publikum Stellung. Dabei kommt etwa heraus, dass V2G eher ein interessantes Thema für privates Laden und Flottenbetreiber werden dürfte, während das dauerhafte Anstecken von Elektroautos zum bidirektionalen Laden in der Öffentlichkeit wohl eher marginale Bedeutung haben wird. Deutlich wird beim Diskurs auch, dass ohne regulatorischen Rahmen viele Sachverhalte nur grob voraussagbar sind. „Dass es viel Regelungsbedarf gibt, müssen wir in Gespräche mit politischen Entscheidungsträgern tragen“, schlussfolgert Marcus Fendt. Dabei hilft, dass große Autobauer wie jüngst Volkswagen ebenfalls bidirektionales Laden forcieren wollen und entsprechende Regularien fordern. Im Gegensatz zu der fragmentierten Energiebranche habe die Autoindustrie da noch einmal einen anderen Hebel, sind sich die Experten einig.

1 Kommentar

zu „Wie E-Autos die Energiewelt verändern – und umgekehrt“
Max
26.03.2021 um 13:56
Die Preise für Regelenergie sind über die Jahre zurückgegangen, weil es ein kleiner Markt ist und in kurzer Zeit viele neue Anbieter hinzugekommen sind. Ich vermute, dass es so auch hier ablaufen könnte: Wenn nur ein Auto hinzukommt, könnten 50 EUR pro Woche erzielt werden, weil sich das Gesamtangebot praktisch nicht ändert. Wenn aber hunderttausende Autos hinzukommen, kann sich das Angebot vervielfachen. Weil die Fahrzeuge nur geringe Betriebskosten haben, ist der Grenzkostenpreis plötzlich nahe null. Volkswirtschaftlich grundsätzlich sinnvoll, wenn die vorherigen Investitionskosten refinanziert werden können, das kann man aber bezweifeln. Ich bin gespannt, wie sich das weiterentwickelt!

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