electrive.net LIVE: Quo vadis Elektromobilität 2023?

2022 ist mit einem eindrucksvollen Rekord bei den Elektro-Zulassungen zu Ende gegangen. Doch wie geht es 2023 weiter? Welche Effekte hat der verringerte Umweltbonus? Wann kommen die E-Lkw? Wie es um die Verkehrswende in Deutschland bestellt ist, haben wir mit ExpertInnen in unserer 25. Online-Konferenz „electrive.net LIVE“ diskutiert. 600 digitale Gäste waren dabei!

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Als wir im Januar 2022 bei der damaligen Ausgabe unserer Online-Konferenz „electrive.net LIVE“ einen Ausblick auf die großen eMobility-Themen des neuen Jahres gaben, war die Welt noch eine andere. Die gröbsten Versorgungsengpässe nach der Corona-Krise – vor allem bei den Halbleitern – schienen ausgestanden. Bis Russland in die Ukraine einmarschierte und wieder Krieg nach Europa brachte. Und damit auch einige Lieferketten der Elektromobilität abreißen ließ.

Die Folgen von Krieg, Inflation, Rohstoffmangel und Energiekrise werden auch 2023 die strategischen Weichenstellungen beim Markthochlauf der Elektromobilität entscheidend beeinflussen. Die teurere Rohstoffbeschaffung, höhere Energiepreise in der Produktion, aber auch steigende Stromkosten an der Ladesäule werden sich in der Nachfrage und somit in den Zulassungszahlen abbilden. Von innenpolitischen Themen, wie dem zum Jahreswechsel angepassten Umweltbonus, ganz zu schweigen.

Obwohl sich der geopolitische Hintergrund drastisch geändert hat, bleiben die Leitfragen, die wir bei „electrive.net LIVE“ mit ExpertInnen aus Politik, Industrie und Forschung erörtern, nahezu gleich: Wie kommt die Antriebswende in Deutschland voran? Wie läuft der Ausbau der Ladeinfrastruktur? Welche Effekte wird der verringerte Umweltbonus auf die Zulassungszahlen haben? Wie entwickeln sich die Lieferketten im Batteriebereich? Wann geht das Deutschlandnetz in die heiße Phase? Welche weiteren Förderreize setzt der Bund?

Zu diesem Punkt hätte Patrick Graichen, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, ausführlich Auskunft geben können. Schließlich sind sich das von Robert Habeck geführte BMWK und das Bundesverkehrsministerium von Volker Wissing bei vielen Mobilitätsfragen alles andere als einig – dabei wäre Klarheit dringend nötig. An dieser hat Graichen hinter den Kulissen auch weiter gearbeitet, nur leider nicht vor unserem Publikum Auskunft erteilt – aus terminlichen Gründen hat das Ministerium eine Teilnahme abgesagt.

Ist die Elektromobilität schon ein Selbstläufer oder nicht?

Welche Baustellen es in der Bundespolitik gibt, wurde hingegen beim Vortrag von Wiebke Zimmer klar. Die stellvertretende Direktorin der Agora Verkehrswende listet in ihrer kritischen Bestandsaufnahme viele Punkte auf, welche aus ihrer Sicht die Antriebswende bremsen – aber auch Steuersignale für die Transformation der Pkw-Flotte, die eben jene Bremse lösen und dem E-Umstieg mehr Schwung verleihen soll.

„Es ist möglich, sowohl die Klimaschutzziele bis 2030 als auch die Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen, das zeigen mehrere Studien“, so Zimmer. „In allen Szenarien braucht es aber rund 15 Millionen E-Pkw im Bestand, um die Ziele zu erreichen. Viel wichtiger als diese abstrakte Zahl ist aber die Frage, wie der Markthochlauf aussehen muss, um überhaupt an dieses Ziel zu kommen.“

Trotz der neuen Zulassungsrekorde, vor allem zum Jahresende 2022, ist die E-Mobilität für die Agora-Expertin noch kein Selbstläufer. Das liegt zum einen am neuen Umweltbonus mit der Regelung für Firmenwagen, aber auch die Budget-Obergrenze, welche vermutlich 2024 erreicht sein wird – und die Förderung dann entfällt. In Kombination mit den Stromkosten erwartet Zimmer eine „deutlich gedämpfte Nachfrage nach E-Pkw“. „Ohne weitere politische Maßnahmen werden wir 15 Millionen E-Pkw bis 2030 nicht auf der Straße haben“, so die Expertin. Agora Verkehrswende fordert daher vier Reformen von der Bundespolitik: Die Kfz-Steuer, die Dienstwagenbesteuerung, ein CO2-Preis mit Klimaprämie und ein neues Programm für Kaufzuschüsse sind laut Agora Verkehrswende unerlässlich.

Ein Beispiel: Der Agora-Vorschlag zur Reform der Kfz-Steuer sieht vor, dass die jährliche Zahlung durch eine deutlich höhere Einmalzahlung zur Erstzulassung ersetzt wird – und erhofft sich auf Basis einer eigenen Umfrage von dem hohen Betrag eine Lenkungswirkung. „Eine Kfz-Steuer, die auf die Erstzulassung konzentriert wird und sich am CO2-Ausstoß orientiert, gibt einen deutlich höheren Anreiz, sich für ein klimaschonendes Fahrzeug zu entscheiden. Zudem könnte über die höhere Kfz-Steuer die Kaufprämie für E-Pkw gegenfinanzieren – dann würde die Kaufprämie nur noch von den Autofahrer getragen und nicht mehr wie bisher von allen Steuerzahlern“, führt Zimmer aus. Deutschland und die Schweiz gehören zusammen mit einigen baltischen Ländern zu den wenigen EU-Staaten, in denen es keine Zulassungssteuer gibt.

Wo kommen die Batterien für 15 Millionen E-Autos her?

Doch eine so große Zahl an E-Autos – nicht nur in Deutschland, sondern ganz Europa – muss erst einmal gebaut und mit Batteriezellen versorgt werden. Und genau diese Versorgung zu sichern liegt nicht nur in der Hand der deutschen Förder- oder Steuerpolitik, sondern hat globale Dimensionen. „Wir müssen nicht nur die Nachfrage fördern, dass die E-Autos gekauft werden. Wir müssen diese ganzen E-Autos und ihre Batterien auch bauen“, sagt vor diesem Hintergrund Stefan Bergold, General Manager Europe bei dem chinesischen Batteriezellhersteller Farasis Energy. „Derzeit sind die Kapazitäten der europäischen Batteriefabriken noch sehr begrenzt. Wenn wir nicht die Batterien weiter aus Asien importieren wollen, müssen wir nicht nur die Nachfrage fördern, sondern auch das Angebot.“

Doch mit klassischen Incentives alleine – etwa Steuererleichterungen oder Förderprogrammen rund um die Qualifizierung des Personals – ist es im internationalen Wettbewerb nicht getan, wie aktuell der Blick auf die US-Politik mit dem viel zitierten Inflation Reduction Act zeigt. Die meisten neuen Batteriefabriken werden zwar noch in Asien und dort vorrangig in China gebaut, doch Europa hat gegengesteuert und zahlreiche Projektzusagen erhalten können. Nur: „Aktuell wird diese Planung aber hinterfragt, ob man ein oder zwei Projekte in Europa hinten anstellt und stattdessen erstmal in den USA baut, wo es derzeit sehr attraktiv ist“, sagt Bergold und bestätigt: „Diese Planspiele sind bei allen Batterieherstellern im Gange.“

Wie schnell sich Rahmenbedingungen ändern können und massive Auswirkungen auf bereits geplante Projekte haben, weiß Bergold nur zu gut. Farasis hat bekanntlich seine erste europäische Batteriefabrik in Bitterfeld-Wolfen geplant, das Projekt aber inzwischen pausiert. „Die Entscheidung für eine Batteriefabrik hängt immer an Kunden und Märkten. Wir hatten für Bitterfeld-Wolfen mehrere Kunden und mehrere Märkte im Visier. Derzeit ist das Projekt aber auf ‚Hold‘“, sagt Bergold hierzu eher ausweichend. Welche Kunden oder Märkte weggebrochen sind, gab er vor unserem Live-Publikum aber nicht an.

Zu den globalen Rahmenbedingungen kommt hinzu: Für möglichst nachhaltige und auch international unabhängig hergestellte Batterien müssen die Lieferketten lokalisiert werden – denn wenn bereits die wichtigen Vorprodukte um den halben Globus transportiert werden müssen und dabei zwangsweise Grenzen passieren, werden die Abhängigkeiten beim Import nur verschoben. „Lithium und Graphit gibt es in Europa ausreichend“, sagt Batterie-Experte Bergold. „Nickel, Kobalt und Mangan sind aber sehr selten.“ Es gebe nur bekannte Minen in Finnland und der Türkei. „Bisher war es wirtschaftlich meist nicht darstellbar, Rohstoffe in Europa abzubauen oder die Förderung aufzubauen“, so Bergold weiter. „Das ändert sich womöglich jetzt. Für die alleine in Deutschland geplanten 15 Millionen E-Autos alle Rohstoffe in Europa abzubauen, wird kaum möglich sein. Aber es gibt ungenutzte Potenziale, um Importe zu verringern.“

Wie sehen die Lieferketten der Zukunft aus?

Globale Lieferketten beschäftigen auch Julian Fieres, Vice President Transformation, Strategy, Sustainability & Digital im Bereich Electrified Powertrain Technology bei der ZF Group. Wie er bei „electrive.net LIVE“ vorträgt, müssen geopolitische Paradigmen der vergangenen 50 Jahre überdacht werden – eine Vereinfachung auf das Modell „Nordamerika vs. China vs. Europa“ greift aus seiner Sicht aber auch zu kurz. Er mahnt aber: „Im Sinne der Nachhaltigkeit muss man darauf schauen, welche teilweise auch grenzüberschreitenden Lieferketten Sinn ergeben. Welche Lieferwege mit potenziellen Handelsembargos bei den Halbleitern sind nach vorne gerichtet die, auf die ich als globaler Konzern setzen soll?“

Wie schwierig diese Frage für Unternehmen im Alltag zu beantworten ist, deutet Farasis-Manager Bergold an. „Der größte Nickel-Lieferant der Welt kommt aus Russland – und ist quasi über Nacht weggebrochen“, so der Europa-Chef des Batterieherstellers. „Im Sommer hatten die Preise deshalb einen Höchststand erreicht, sinken aber derzeit wieder und werden sich einpendeln.“ Hier geht es nicht um einen Sensor oder ein Außenspiegel-Gehäuse, das für Autobauer im Einkauf ein paar Cent teurer geworden ist – sondern ein Material, das für viele Batterien unerlässlich ist und dessen Anteil im Streben nach immer höheren Reichweiten in den vergangenen zehn Jahren stetig erhöht wurde. Konkret von den aus heutiger Sicht kaum eMobility-tauglichen NMC111-Zellen mit 33 Prozent Nickel Anfang der 2010er Jahre auf die zunehmend verbreiteten NMC811-Zellen mit 80 Prozent Nickel.

Ein kleiner Einschub an dieser Stelle: Das Streben nach größeren Batterien und höheren Reichweiten wird laut Bergold und ZF-Manager Fieres in den kommenden Jahren noch weiter gehen. Farasis stellt für 2027 eine Batteriezelle mit einer Energiedichte von 350 Wh/kg in Aussicht, womit bei rund 400 Kilogramm Batteriegewicht 1.000 Kilometer Reichweite möglich seien – heute sind es rund 285 Wh/kg. Die Kehrseite: Die Ladefähigkeit dieser äußerst energiedichten Zellen bleibt in etwa auf dem heutigen Niveau von 1,5 C. Sprich: je größer die Batterie wird, desto länger dauert bei gleicher C-Rate auch der Ladevorgang.

Daher stellt Bergold einen zweiten Technologiepfad in Aussicht: Die Energiedichte dieser Zellen steigt weniger stark („nur“ auf etwa 320 Wh/kg), dafür steigt die Ladefähigkeit auf eine C-Rate von 4 bis 5. „Wenn man nicht 1.000 Kilometer am Stück fahren will, sondern nach 400 Kilometern eine Pause macht, kann ich das zum Laden nutzen. Mit den Zellen, die in der Entwicklung sind, sinkt dann die Ladezeit auf bis zu 12 Minuten“, sagt Bergold. „Das entspricht – meinem persönlichem Empfinden nach – deutlich eher einem realen Fahrprofil als 1.000 Kilometer Fahrt ohne Pause.“

Günstigere E-Autos kommen – entgegen des aktuellen Trends

Derart hohe Ladeleistungen sind im Fahrzeug aber natürlich nur möglich, wenn das Batteriepaket über ein entsprechendes Thermomanagement verfügt und die entstehende Wärme des Ladevorgangs abgeführt werden kann. Solche Systeme, da sind sich Bergold und Fieres als Industrie-Vertreter einig, wird es aber auch in Zukunft wohl nur in teureren E-Autos geben.

Aber selbst wenn der Trend aktuell noch auf größere Batterien, höhere Ladeleistungen und stärkere Antriebe hindeutet, geht Fieres davon aus, dass in wenigen Jahren auch günstigere E-Autos eine wichtige Rolle spielen werden – mit einfacheren E-Antrieben, einfacherem Batteriemanagement, aber immer höherer Reichweite als heutige E-Kompaktautos. Sein Punkt: „In wenigen Jahren“ ist für die Industrie mit Entwicklungszeiten, Produktvalidierung und Produktionsvorbereitung quasi morgen. „Darauf müssen sich sowohl die Hersteller als auch die Zulieferer jetzt vorbereiten, um dann die richtigen Lösungen anbieten zu können“, sagt der hochrangige ZF-Manager.

Die Trendwende wieder hin zu kleineren Autos wird auch von Wiebke Zimmer begrüßt und gefordert – nicht nur aus Sicht der Verkehrswende in den Innenstädten, sondern auch mit Blick auf den Energieverbrauch. „Der Strombedarf des Verkehrssektors wird zu einer relevanten Größe“, sagt Zimmer. Sie beruft sich dabei auf eine Studie des Wuppertaler Öko-Instituts aus dem Jahr 2021, welches ausgehend von einem Bedarf im Jahr 2016 von 13 TWh massiv steigen wird – selbst zwischen 2030 (74 TWh) und 2045 mit 175 TWh wird deutlich mehr sauberer Strom benötigt. Darin ist der Energiebedarf von E-Fuels und Wasserstoff noch nicht einkalkuliert, die Verschiebung hin zu anderen Verkehrsträgern im Zuge der Mobilitätswende hingegen schon. Der Ausbau der Stromproduktion muss also beschleunigt werden. Vor diesem Hintergrund fordert Agora Verkehrswende, eine künftige Kaufprämie an die Energieeffizienz des Fahrzeugs zu koppeln – mehr Geld für sparsame Fahrzeuge. Ein kleiner Lichtblick: Der Gesamtenergiebedarf des Verkehrssektors wird mit dem Wegfall der energetisch gesehen ineffizienten Verbrenner deutlich sinken – von über 650 TWh in 2016 auf etwa 250 TWh in 2045.

Wie die verbrauchte Energie wieder in die E-Fahrzeuge kommt, das war das Thema unseres zweiten Panels bei der 25. Ausgabe von „electrive.net LIVE“ – die Infrastruktur. Welcher Mix an staatlichen Vorgaben und freier Marktwirtschaft für einen zügigen und umfassenden Ausbau der Lade- und Wasserstoff-Infrastruktur notwendig ist, haben Johannes Pallasch, Sprecher des Leitungsteams der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur, Jan Strobel, Abteilungsleiter Regulierung, Marktkommunikation und Mobilität beim BDEW und Nikolas Iwan, Geschäftsführer von H2 Mobility Deutschland gemeinsam mit electrive.net-Chefredakteur Peter Schwierz diskutiert.

Die Debatte um die Ladeinfrastruktur dreht sich dabei immer noch um das politische Ziel, dass bis 2030 eine Million Ladepunkte nötig seien, um die angepeilten 15 Millionen E-Autos mit Strom zu versorgen. Dem BDEW ist bekanntlich eine solche Zielmarke bereits länger ein Dorn im Auge. „Das Ziel von einer Million Ladepunkte ist technisch überholt! Durch den massiven Ausbau der HPC ist die installierte Ladeleistung in Deutschland seit 2019 deutlich stärker gestiegen als es mit AC- oder langsameren DC-Ladepunkten möglich gewesen wäre“, sagt BDEW-Abteilungsleiter Strobel. „Wenn die Politik gute Rahmenbedingungen schaffen will, sollte sie diese Ziel überdenken. Die Technologie ist an dieser Stelle deutlich schneller als Politik und Regulierung.“

Leitstellen-Leiter Pallasch gibt an, dass intern bereits längst mit installierter Ladeleistung und nicht mehr mit Ladepunkten bei den Ausbauzielen gerechnet würde. Nur: Was auf Fachebene Konsens ist, wurde von den verantwortlichen Politikern eben noch nicht als Ziel kassiert – auch wenn die eigenen Leute selbst nicht mehr von einer Million Ladepunkten ausgehen, wie Pallaschs Aussage andeutet. Sondern von einer vergleichbar hohen installierten Ladeleistung, die sich aber auf weniger Ladepunkte mit höherer Leistung verteilt.

Starker Bund oder schwacher Bund?

Während bei diesem Punkt noch – halbwegs – Konsens herrscht, zeigen sich bei anderen Themen Differenzen, etwa der Flächendeckung. Braucht es einen starken Staat, der beim Markthochlauf der Elektromobilität mitspricht und nach dem Top-down-Prinzip Vorgaben macht? Oder regelt es der Markt selbst und erschließt von ersten, einzelnen Schnellladern über große HPC-Parks nach dem Bottom-up-Prinzip nach und nach die Fläche?

Man kann es sich denken: Strobel bevorzugt Lösung b) und sagt: „Der Lademarkt ist in der Wachstumsphase angekommen, der Ausbau läuft. Der Wettbewerb sorgt für Innovation, Tempo und Flächendeckung. Wir brauchen keine Anschubförderung mehr, sondern vor allem langfristig stabile, investitionsfreundliche Rahmenbedingungen.“ Pallasch plädiert für einen starken Bund, der das Know-how hat, Maßnahmen selbst zu bewerten und Vorgaben zu machen: „Wir stehen einem schnell wachsenden Markt nicht entgegen und beziehen das in unsere Pläne natürlich ein. Die Marktlogik ist aber auch, dass privatwirtschaftliche Unternehmen dahin gehen, wo sie die höchsten Gewinne und Margen erzielen können. Es gibt eben Standorte, die unattraktiv sind und zu spät oder gar nicht versorgt werden. Darauf brauchen wir eine Antwort, und dafür brauchen wir den Top-Down-Blick aus verkehrspolitischer Sicht.“

Ein weiteres Beispiel für die unterschiedlichen Sichtweisen: Strobel führt an, dass bereits heute in 40 Prozent der Suchräume des Deutschlandnetzes privatwirtschaftlich errichtete HPC in Betrieb sind – aber kein einziger des Deutschlandnetzes, obwohl seinerzeit von Andreas Scheuer 1.000 Standorte bis 2023 angekündigt wurden. Pallasch hält dagegen: „Dass Unternehmen jetzt dort bauen, wo wir Suchräume festgelegt haben, zeigt, dass unsere Berechnungslogik richtig ist. An diesen Standorten besteht Bedarf, der gedeckt werden muss! Aber: Wenn in einem Suchraum, für den wir einen Bedarf von zwölf Ladepunkten ermittelt haben, privatwirtschaftlich zwei oder sechs Ladepunkte aufgebaut werden, deckt das den Bedarf nicht und es ergibt keinen Sinn, das Deutschlandnetz dann aus diesem Suchraum abzuziehen.“

Bund muss und will mehr Flächen einbringen – aber wie schnell?

Ähnlich verhält es sich bei dem geplanten initialen Ladenetz für Elektro-Lkw. „Uns ist wichtig, dass wir die Lehren aus dem E-Pkw ziehen und die Fehler beim E-Lkw nicht wiederholen“, sagt Strobel. „Auch die CPO von Lkw-Ladenetzen wollen Flächen und Netzanschlüsse. Da sind wir im Fernverkehr wieder auf den Bund angewiesen. Unsere Mitglieder wollen bauen, wir brauchen aber öffentliche Flächen. Es wäre wirklich schön, wenn der Bund bei den Flächen vorangehen würde. Es wäre ein Beschleuniger, wenn wir im öffentlichen Raum bauen könnten.“ Er argumentiert dabei mit Pallaschs eigener Waffe, dem FlächenTool der NOW: „Als ich vergangene Woche nachgeschaut habe, war dort keine einzige Fläche des Bundes eingetragen, drei Liegenschaften von Ländern und rund 800 Liegenschaften von Kommunen – bei 10.000 Kommunen in Deutschland.“

Ein Punkt, bei dem Pallasch Besserung gelobt. Die Bedarfsplanung entlang der wichtigsten Autobahnen ist zwar abgeschlossen, die Lkw-Stellplätze an den bundeseigenen Flächen sind aber schon heute knapp – ohne, dass mehrere Stellplätze wegen ihrer Ladesäulen für E-Lkw reserviert werden. Eine verkehrspolitische Frage, welche die Leitstelle nicht alleine beantworten kann. Aber erst, wenn die Flächen gefunden sind, können die Netzbetreiber die nötigen Netzanschlüsse planen.

Auch bei einem weiteren Feld rund um die E-Lkw will Pallasch die Netzbetreiber schnellstmöglich einbinden: Neben den Autobahnen ist es eine große Herausforderung, die ganzen Depots zu elektrifizieren. Dort verhält es sich ähnlich wie bei den Wallboxen in einer Tiefgarage: Für das erste Depot in einem Gewerbegebiet, das auf E-Lkw umstellt und Ladesäulen baut, reicht der Netzanschluss vermutlich noch aus. Doch was ist beim zweiten, dritten oder vierten Logitstik-Hub, das mit Lkw-Ladestationen versorgt wird? „Hier ist wichtig, frühzeitig die Information, dass man einen Ausbau plant, an die Netzbetreiber weiterzugeben“, fordert Pallasch.

H2 Mobility setzt auf Infrastruktur für Wasserstoff-Nutzfahrzeuge

Eine weitere Variable bei dem Markthochlauf elektrifizierter Lkw: der Wasserstoff. Die vom BMDV geführten Cleanroom-Gespräche mit den Herstellern haben ergeben, dass die erste Welle der E-Lkw Batterie-elektrisch sein wird. Bis 2030 wird jedoch auch mit rund 17.000 Brennstoffzellen-Lkw auf deutschen Straßen gerechnet. „Unsere Prognose für den Lkw-Hochlauf deckt sich mit den Zahlen der Leitstelle aus den Cleanroom-Gesprächen, vielleicht ein bisschen optimistischer“, sagt Nikolas Iwan, Geschäftsführer der H2 Mobility Deutschland. In seinen Ausbauplänen für das Netz an Wasserstoff-Tankstellen stehen die Nutzfahrzeuge im Fokus. „Das Geschäftsmodell für kleinere Fahrzeuge sehe ich – wenn er denn kommt – für Anfang der 2030er Jahre.“

Für die Nutzfahrzeuge setzt H2 Mobility auf 350 bar anstelle der heute noch an den meisten Tankstellen verbreiteten 700 bar. „Das ist eine erprobte und robuste Technologie, um größere Mengen Wasserstoff zu bewegen“, sagt Iwan. „Zudem benötigt man weniger Energie für das Komprimieren und weniger Verschleißteile. So kann der Wasserstoff mit 350 bar 1,00 bis 1,50 Euro günstiger angeboten werden als mit 700 bar.“

Sein „Problem“: H2 Mobility betreibt inzwischen zwar etwas über 100 Wasserstoff-Tankstellen in Deutschland – aufgrund der früheren, auf Autos bezogenen Ausrichtung handelt es sich dabei aber überwiegend um 700-bar-Standorte. Bis Ende 2023 will H2 Mobility in Deutschland 30 Tankstellen für schwere Lkw und Busse betreiben. Dabei sollen auch an bestehenden Standorten Anlagen mit 350 bar nachgerüstet werden. „Das klingt einfach, ist technisch aber ein anspruchsvoller Schritt“, berichtet Iwan. Der Manager blickt aber auch weiter nach vorne: „In den nächsten Jahren werden wir neue Standorte bauen, die nichts mehr mit den aktuellen H2-Tankstellen zu tun haben – weil sie eine bis zu 15 Mal größere Kapazität bieten werden.“

„Der Großteil der Lkw, der 2030 auf den Markt kommt, ist zero emission“

Doch diese Standorte plant H2 Mobility nur für den Wasserstoff – obwohl Iwan selbst angibt, dass er auch bei Nutzfahrzeugen die Batterie und Wasserstoff nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung sieht. Warum dann keine integrierten Hubs mit 350-bar-Zapfsäulen für FCEV-Lkw und MCS-Ladesäulen für BEV-Trucks? Schließlich benötigt auch die Wasserstoff-Tankstelle für all ihre Kompressoren und Kühlanlagen einen leistungsstarken Netzanschluss.

„Ein gemeinsamer Ausbau für den Lkw wäre sinnvoll, findet derzeit aber noch nicht statt“, sagt Iwan. „Sowohl die institutionellen Rahmenbedingungen werden noch nicht zusammen erarbeitet, auch die Unternehmen arbeiten oft noch nicht sinnvoll zusammen. Da wird noch zu oft gegeneinander gearbeitet. Technisch und logistisch würde es Synergieeffekte ergeben!“ BDEW-Mann Strobel gibt zu bedenken, dass es in beiden Bereichen zum einen eine „ganz andere Regulierung“ gebe und es auch „vom Geschäft her eine andere Logik“ sei.

Ob an getrennten Standorten oder gemeinsam, eines steht für Johannes Pallasch fest: Der Lkw der Zukunft wird nicht mehr mit Diesel betrieben. „Unsere Cleanroom-Gespräche haben gezeigt: Die erste Welle an elektrisch angetriebenen Lkw ist stark Batterie-getrieben. In der Summe aus Batterie und Brennstoffzelle ist aber klar: Der Großteil der Lkw, der 2030 auf den Markt kommt, ist zero emission.“

1 Kommentar

zu „electrive.net LIVE: Quo vadis Elektromobilität 2023?“
Nostradamus
31.01.2023 um 14:27
Junge, Junge! Wo zu brauchst du die Unterstützung von Politik? Soll Politik Autos für dich entwickeln? Oder Rohstoffe für Batterien für dich besorgen? Politik hat der entscheidende Schritt gemacht – das Jahr 2035 als das Ende von Kfz mit nicht neutralen Emissionen. Alles anderes liegt jetzt in deinen Händen! An die Arbeit und nicht meckern!

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