Automobil

Web-Konferenz: So lief die Premiere von „electrive.net LIVE“

Zehn Experten von Mennekes bis Volkswagen auf der digitalen Bühne, in der Spitze fast 800 Teilnehmende parallel „im Publikum“ – die erste Ausgabe von „electrive.net LIVE“ war auf Anhieb eine der größten Konferenzen für Elektromobilität überhaupt. Hier ist der Konferenzbericht.

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Seit Beginn der Corona-Krise im März 2020 wurden nicht nur die Tore fast sämtlicher Werke der Automobilindustrie geschlossen, auch wurden nahezu alle Veranstaltungen zur Elektromobilität verschoben oder gar abgesagt. Die Branche musste geradewegs eine Vollbremsung hinlegen. Die Vernetzung und die Präsentation neuer Produkte war kaum mehr möglich. Das spiegelte sich auch in den Telefonaten und Videocalls mit Partnern und Kunden von electrive.net wieder. Die Idee einer digitalen Lösung lag da nahe. Der von Beginn an rein digitale Branchendienst für Elektromobilität wollte die kontaktfreudige Branche an dieser Stelle unterstützen.

Binnen vier Wochen wurde ein eigenes Konferenzformat aufgesetzt, das am gestrigen 22. April 2020 als „electrive.net LIVE“ an den Start ging. Mit insgesamt zehn Branchenköpfen auf digitaler Bühne und 800 Teilnehmenden in der Spitze sowie einer großen Bandbreite an elektromobilen Themen wurden in knapp fünf Stunden die Internet-Leitungen und Server zum Glühen gebracht.

Moderiert wurde die Konferenz von electrive.net-Chefredakteur Peter Schwierz aus seinem Studio im Norden Brandenburgs. Und weil es nun mal in Corona-Zeiten gilt, die soziale Distanz zu wahren, wurden sämtliche Referenten per Video aus ihren Büros oder Home-Offices zugeschaltet. Eine maximale Herausforderung für die Technik – gesteuert aus Frankfurt am Main.

Status quo Elektromobilität 2020 – Die Weichen sind gestellt

Zum Einstieg ins erste Panel ordnete Helge Pols, Leiter des Referats G20 für Grundsatzfragen der klimafreundlichen Mobilität, direkt aus dem Bundesverkehrsministerium in Berlin mit seinem Vortrag „Klimaschutz im Verkehr und Rolle der Elektromobilität zur Erreichung der Ziele 2030“ den aktuellen Stand der Dinge ein. Er stellte klar, dass Corona die Verkehrswende zumindest vor neue Herausforderungen stellt. So habe man schon vor der Pandemie die Emissionen vom Anstieg der Verkehrsleistung entkoppeln können, aber es werde eine ganz schwierige Aufgabe sein, die Menschen nach Corona wieder in den ÖPNV zurückzubringen. Denn vor dem Hintergrund der aktuellen Situation habe der Cocoonig-Wunsch der Menschen den automobilen Individualverkehr gestärkt.

Gleichzeitig verwies Pols auf die mögliche Neuregelung der KFZ-Steuer ab 2021, welche die CO2-Emissionen von Fahrzeugen klar berücksichtigen werde. Und es werde auch an einem Umbau der Lkw-Maut ab 2023 mit Bezug auf CO2-Emissionen gearbeitet.

Oliver Braune und Tilman Wilhelm ergänzten direkt im Anschluss Pols Ausführungen um die zahlreichen Förderinstrumente der Bundesregierung, die u.a. die NOW (Nationale Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie) betreut. So berichtete Tilman Wilhelm, dass in vier Förderaufrufen bisher 212 kommunale eMobility-Konzepte gefördert wurden. Dadurch zeigte sich, dass Ladeinfrastruktur und die Elektrifizierung kommunaler Fuhrparks stark im Vordergrund stehen.

Darüber hinaus ist seit Jahresbeginn auch die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur bei der NOW angeschlossen. Braune und Wilhelm machten deutlich, dass man mit dieser Steuerungseinheit u.a. das Ziel verfolge, bis zu 1.000 High-Power-Charging-Standorte mit ausreichend vielen Ladepunkten aufzubauen.

Prof. Dr. Achim Kampker rief im Anschluss daran zu mehr Mut auf und hält auch das partielle Scheitern einzelner Player für einen Teil der gesamten Entwicklung. Gleichzeitig erklärte er eine Diskussion darüber „ob die E-Mobilität kommt oder nicht“ für abgehakt. Er verwies auf die starke internationale Entwicklung der E-Mobilität und zeigte sich nachdenklich über die langsame Entwicklung in Deutschland. In seinem Vortrag räumte er auch mit der Legende auf, dass man das Fahrzeug entwickle und dafür dann die passende Batterie einkaufen würde. Aktuell müsse man an Batterien nehmen, was auf dem Markt zu finden sei, anstatt die Konfigurationen zu bekommen, die man haben wollen würde.

Markthochlauf Elektromobilität – Die Automobilindustrie startet durch

Branchenkenner Jochen Rudat startete mit einem starken Impuls in den zweiten Block der Online-Konferenz. Er war u.a. 10 Jahre bei Tesla – zuletzt als Director Central Europe auch für den Vertrieb in Deutschland zuständig – und lieferte ein paar Einblicke, die auch – bisher in der Automobilindustrie eher unüblich – eigene Fehler aufzeigten. Rudat sieht aktuell weit mehr Challenges für die Autoindustrie als E-Mobilität, Autonomes Fahren, Digitalisierung und Corona. So würden sich gerade Online Sales Konzepte, Abo- und Sharingmodelle sowie neue Wettbewerber bei der ersten und letzten Meile herauskristallisieren. Der Branchenkenner empfahl den Teilnehmenden auch, einen scharfen Blick auf neue Retail-Konzepte im Automotive-Markt zu werfen. Beispiele seien Rockar-Stores in Shopping Malls in UK und der chinesische Autobauer Aiways, der in Kürze seinen Europa-Verkauf in den Outlets des Elektronikhändlers Euronics statt in eigenen Autohäusern starten wolle.

Martin Roemheld, Head of e-Mobility Services bei Volkswagen, setzte fast nahtlos an und präsentierte das Verständnis von Volkswagen in Bezug auf den Hochlauf der Elektromobilität. So sei die heutige Verteilung der Ladevorgänge durch Early Adopters geprägt. Heim- und Workplace Charging spielten zur Zeit die dominierende Rolle. Zukünftig sieht man in Wolfsburg jedoch öffentliche Ladepunkte als deutlich relevanter werdend an. Roemheld ließ durchblicken, das High Power Charging (HPC) nicht nur als reine Lösung für die Raststätten an Autobahnen sondern auch als Option für Innenstädte sinnvoll sei. In Wolfsburg nutzt Volkswagen mit Ionity eine ehemalige Tankstelle als konkretes Beispiel. Für einen deutschen Autobauer schlug Roemheld durchaus auch ungewöhnliche Töne an: Er bezeichnete das bidirektionale Laden als wichtigen Baustein für die Energiewende. Die Menge an Strom sei da, die Chancen lägen demnach in der Speichernutzung.

Gerald Krainer, Director Go-to-Market Europe, brachte anschließend Insights aus dem Kosmos des noch jungen Autobauers Byton mit. Für Deutschland aktuell noch schwer vorstellbar, sei das Byton-Werk in China bereits wieder zu 95 % hochgefahren. Damit steht dem Start des Elektro-SUV M-Byte mit dem riesigen Display nicht mehr viel im Wege. Krainer ließ verlauten, dass man den Wagen mit zwei Batteriegrößen an den Start bringen werden. In Europa sei ein Preispunkt von 45.000 Euro vor Steuern und Förderung anvisiert. 2021 wolle man in Zürich (Schweiz) bereits einen ersten Shop eröffnen. Der tatsächlich schon den von Jochen Rudat vorgestellten Ideen entsprechen wird: innerstädtisch in einem Einkaufszentrum gelegen.

Ladeinfrastruktur für Elektromobilität – Der Aufbau läuft

Im dritten Panel der Digital-Konferenz zeigte sich, wie unterschiedlich die Herangehensweisen doch sein können. So erklärte Lars Walch, Leiter Geschäftsmodelle und Vertrieb E-Mobilität bei der EnBW, dass er sich mit seinen bereits 320 Schnellladestationen und der EnBW mobility+ App (380.000 Downloads) verstärkt auf öffentliches DC-Laden konzentriere. Alfred Vrieling, Bereichsleiter Vertrieb und Marketing eMobility von MENNEKES, wiederum präsentierte eine Strategie, die insbesondere auf das Laden bei Arbeitgebern bzw. bei Unternehmen mit AC-Systemen fokussiert. Der Ladeinfrastruktur-Hersteller hat dafür gerade erst eine eigene Produktlinie vorgestellt.

Thomas Daiber, Chef der von ihm gegründeten Cosmic Cat Group, lieferte zum Abschluss einen spannenden Perspektivwechsel. Er fragte bewusst provokativ: Was wollen Sie sein? So sei er der Überzeugung, dass viele Unternehmen in der Elektromobilität zu viel gleichzeitig wollen. Er empfahl generell ein einfaches Starten mit einem spitzen und sehr guten Produkt. Unternehmen sollten sich erst dann breiter aufstellen, wenn es die Kundschaft wirklich brauche. Daiber machte deutlich, dass es international eher üblich wäre, entweder selbst mit einem starken und einfachen Produkt einen begrenzten Markt zu erreichen und erst bei Erfolg weitere Märkte in den Fokus zu nehmen. In Deutschland wolle man vieles gleichzeitig, aus Angst davor, etwas zu verpassen. In einem viel beachteten Gastbeitrag, der heute auf electrive.net erschienen ist, vertiefte Daiber seine Thesen.

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Das Team von electrive.net bedankt sich bei den Sponsoren NOW, Mennekes, PEM Motion und b2charge, allen Referenten und natürlich den vielen Teilnehmenden für die gelungene Premiere! Und freut sich über das zahlreiche positive Feedback, das im Anschluss an die Online-Konferenz einging. Das ermutigt die Mannschaft um Peter Schwierz um so mehr zur Planung der nächsten Show für Ende Mai. Die Informationen zum Programm folgen in Kürze. Bleiben Sie gesund!

6 Kommentare

zu „Web-Konferenz: So lief die Premiere von „electrive.net LIVE““
Raimund
24.04.2020 um 06:57
1. Werden denn die Panels auch nachträglich verfügbar sein?2. Ich sehe gerade zwei weitwere Probleme durch den Wegfall der Messen. Die Präsentation von neuen Produkten und die Vernetzung von Geschäftsleuten. 2a. Ich gehe davon aus, dass Mennekes und andere namhaften Firmen weniger Probleme haben, Ihre neuen Produkte vorzustellen. Kleine und weniger namhafte Hersteller, die eventuell auch neu im Markt sind, haben es wesentlich schwerer. Da könnte eine digitale Plattform helfen, die dann von vielen Entscheider besucht wird. 2b. Auf solchen Messen, vorallem B2B-Messen, werden ja auch Kontakte geknüpft. Ich kann mir Vorstellen, auch bei einem Bier in einer Bar. Gibt es da eigentlich schon was digitales?
Peter Schwierz
24.04.2020 um 09:31
1. Wir arbeiten daran. ;)2.b. Wir haben am Ende der Show mit einem Bier virtuell angestoßen. Aber nur im Netz, nicht an der Bar. ;)
Max
24.04.2020 um 08:43
Wird es einen Mitschnitt online zum Abruf geben?
Hans Gnann
24.04.2020 um 12:30
Die tolle Konferenz war mir auch zu kurzfristig, um alle Termine abzusagen...Gleiche Frage: Gibt's eine Aufzeichnung für die angemeldeten Teilnehmer?
Rainer Domin
26.04.2020 um 14:51
Guten Tag Herr Schwierz, ich schließe mich "Raimund" an, dass der Wegfall persönlicher Kontakte generell eine Schwierigkeit darstellt, vor allem dann, wenn ich Innovationen vorstellen möchte, oder auf der Suche danach bin. Auf den persönlichen Symposien erhält man(n) eine Tagungsmappe. Ich hätte die Vorträge ebenfalls gerne nachträglich erhalten, damit ich einen Kontaktaufbau / Fragen mit / an den Vortragenden*de vorbereiten kann ? Generell werden "online - Symposien" zur "Neuen Normalität" werden, aber hoffentlich nicht zu 100%!! Neue, thematisch enger gefasste Symposien" mit persönlichen Kontakten könnten sich jetzt etablieren - oder ? Hoffentlich werden dann die Datenleitungen in die Wohngebiete dem Anspruch genügen, vom home - office aus tätig sein zu können? Generell ein großes Dankeschön an alle Beteilgten und viele Grüße aus dem Südwesten. DTS
Peter Schwierz
26.04.2020 um 15:04
Lieber Herr Domin, Vielen Dank für Ihr Feedback! Es liegt uns fern zu glauben, unser Format wäre der Weisheit letzter Schluss. Im Gegenteil: Auch wir freuen uns sehr, wenn wir wieder auf Messen und Konferenzen gehen können, um unsere Interviews und/oder Hintergrundgespräche führen zu können. Bis dahin aber bleibt uns nichts anderes übrig, online zu senden. Die freigegebenen Vorträge konnten sich die Teilnehmenden über die Dankesmail, welche Freitag rausging, herunterladen. Beste Grüße, Peter Schwierz

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