Förderkater oder Durchbruch? Wie es um die Elektrifizierung von Betriebsflotten steht

Für Flottenmanager wirft 2035 seine Schatten voraus – jenes Jahr, in dem EU-weit der Verkauf von Neu-Pkw mit Verbrennungsmotoren ausläuft. Doch viele fragen sich, wie sie bei steigenden Energiepreisen und sinkender Förderung Ökologie- und Wirtschaftlichkeitsdenken zusammenbringen sollen. In unserer Online-Konferenz „electrive.net LIVE“ gewährten führende Köpfe der Branche einen Einblick, wie der Spagat gelingen kann.

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„Unternehmen mit Zieldatum agieren konsequenter“, ist einer der zentralen Sätze unser 26. Online-Konferenz. Das Zitat stammt von Florian Hacker vom Öko-Institut – und ist gleichzeitig Beobachtung und Empfehlung: „Firmen, die explizit ein Ziel für ihre Flotten formulieren, etwa zum CO2-Ausstoß oder zur E-Auto-Anzahl, und darauf basierend interne Regelungen schaffen, agieren zielstrebiger.“ Denn der Umbruch kommt – trotz des im September auslaufenden Umweltbonus für gewerbliche Akteure und der steigenden Kosten. Dieser Tenor schwingt in jedem Vortrag mit, den die Experten bei „electrive.net LIVE“ auch diesmal wieder hunderten digitalen Fachgästen vor ihren heimischen Bildschirmen präsentieren.

Mit Konrad Benze von ChargeHere, David von Hammerstein von The Mobility House, Sebastian Ewert von Mahle chargeBig und Dirk Burghaus von Mennekes gibt es an diesem Tag geballtes Fachwissen zum Laden am Arbeitsplatz. Axel Schäfer vom Bundesverband Betriebliche Mobilität und Eugenia Becker von der Schwarz Mobility Solutions GmbH steuern die Flottenbetreiber-Perspektive bei. Und das Tandem Esther Rublack und Florian Hacker von Agora Verkehrswende und Öko-Institut ordnet das Thema allen voran umweltpolitisch ein.

Ehe wir eine Kurzfassung der einzelnen Vorträge bieten, hier ein Gedankenaustausch, wie er sich nur ergibt, wenn electrive.net mal wieder Akteure verschiedener Felder zusammenbringt: Auf die Frage von electrive.net-Moderatorin Carla Westerheide, was sich Lade- von Fuhrparkexperten zum reibungsloseren Antriebswandel voneinander wünschen würden, äußert Ladespezialist Konrad Benze, dass sich Entscheidungsträger in Unternehmen mehr mit E-Mobilität befassen sollten. „Dieses Sammeln eigener Erfahrung ist durch nichts zu ersetzen“. Oft entstehe erst so Enthusiasmus für E-Fahrzeuge. Status quo sei eher, „dass man sich über die Entscheidungsprozesse in Unternehmen oft etwas wundern muss“. Und andersherum? „Preistransparenz und einheitliche, kompatible Systeme“, wünscht sich Fuhrparkexpertin Eugenia Becker. Und auch dass Ängste ernst genommen werden, etwa „wo denn der ganze Strom herkommen soll, wenn die Elektrifizierung in der Fläche angekommen ist“.

Diese Nöte und weitere Sorgen von Fuhrparkmanagern kennt Axel Schäfer gut. Mit seinem Ohr nah an den Mitgliedsunternehmen warnt der Geschäftsführer des Bundesverbands Betriebliche Mobilität vor einer allzu entrückten Technikperspektive auf die E-Mobilität und betont den „Faktor Mensch“. Als These vertritt er in seinem Vortrag die Haltung, dass „Unternehmen oft schneller als die Politik sind“. Aktuell schwinden in seinen Augen aber angesichts der auslaufenden Förderung und der Kostensteigerungen massiv die Argumente für die Elektromobilität. „Unternehmen können es sich in der aktuellen Situation immer weniger leisten, Mehrkosten für Nachhaltigkeitsargumente in Kauf zu nehmen“, resümiert Schäfer. Und entschieden werde am Ende in Betrieben immer nach Wirtschaftlichkeitskriterien.

Konkret kritisiert der Verbandschef, dass der Umweltbonus weiterhin an die Zulassung gebunden ist („Wir sagen unseren Mitgliedern, dass sie für jetzt bestellte Fahrzeuge schon nicht mehr mit Förderung rechnen sollen. Da allein durch den Vorlauf der Bestellungen im vergangenen Jahr die gedeckelte Fördersumme aufgebraucht sein dürfte“), dass es bisher keine Pläne für eine Strompreisbremse für Ladeinfrastruktur gibt und dass die THG-Quotenanteile, von denen Ladeinfrastrukturbetreiber profitieren, bei Endverbrauchern nicht ankommen. Die Liste wird mit den langen Lieferzeiten bei E-Autos, dem Tarifdschungel beim Laden etc. noch länger. Schäfer legt den Finger bewusst in die Wunde, betont jedoch im selben Atemzug, dass sein Verband diese Kritikerrolle einnehme, um die explizit begrüßenswerte E-Mobilitätsentwicklung voranzubringen.

Mitten rein in die technische Lösungsfindung geht es mit Konrad Benze, Geschäftsführer der EnBW-Gesellschaft ChargeHere. Das 2017 gegründete Unternehmen hat sich auf AC-Ladesysteme auf großen Parkplätzen spezialisiert. „Einzelne Wallboxen waren richtig und gut, heute werden aber zunehmend mehr Ladepunkte gefragt – häufig um oder über 20“, vergegenwärtigt Benze. Im Sinne von Schäfers Fingerzeig auf die TCO-Relevanz skizziert er, wie ein gut beherrschtes Lastmanagement Kilowatt sowie einmalige und laufende Kosten einsparen kann.

Anhand von Kundenbeispielen liefert er zudem allerhand nützliche Anhaltspunkte für Fuhrparkmanager. So bezeichnet er eine Anschlussleistung von 190 kW als völlig ausreichend für 20 Ladepunkte. In einem von ChargeHere elektrifizierten Unternehmensparkhaus registrierten Benze und sein Team 2022 eine Ladezeit und -leistung von durchschnittlich knapp 4 Stunden und 6 kW pro Tag, wobei „da Plug-in-Hybride mit ihren kleinen Batterien und oft einphasiger Ladung noch stark reinspielen“. Auch die effiziente Integration von Solarstrom ist beim Laden am Arbeitsplatz laut Benze möglich, wenn man „die Klaviatur des Lastmanagements gut beherrscht“.

Die Kundenperspektive bringt Eugenia Becker, Projektleiterin der Schwarz Mobility Solutions GmbH, ein. Ihre Firma verantwortet den Fuhrpark der Schwarz-Gruppe, zu der unter andere Lidl und Kaufland gehören. Die Größenordnung: 32.000 Fahrzeuge international, davon 13.000 Fahrzeuge in Deutschland. Schwarz bezieht die Dienstwagen weitestgehend von einem Hersteller, sie legen im Durchschnitt knapp 40.000 Kilometer im Jahr zurück und verbleiben etwa 1,5 Jahre im Fuhrpark.

Für Deutschland sind laut Becker erst zwei Prozent der Dienstwagen rein elektrisch – „wegen der Lieferzeit und der Verfügbarkeit, in der Mittel- und Kompaktklasse fehlte auch noch das Angebot“. Jetzt, da die Volumenmodelle auf den Markt kommen, „sind wir kräftig am Aufholen“. Die Weichenstellung zur Elektrifizierung war der Fuhrpark-Expertin zufolge vor allem steuerrechtlich kompliziert, denn „wir haben viele Gesellschaften, vielfältige Miet-und Vertragsverhältnisse“. Die Gruppen-interne Immobilienabteilung kümmert sich um den Ladegeräte-Aufbau für Kunden und Mitarbeiter. Da ist gute interne Kommunikation gefragt.

Die Fahrer von Elektro-Dienstwagen erhalten bei Schwarz bisher eine Stromkostenpauschale, um zu laden. Der Konzern will jedoch bald auf ein Ladekarten-Modell und die optionale Subventionierung von heimischen Wallboxen umschwenken. Entscheidend ist aus Sicht von Becker, „dass wir mit der Pauschale erstmal den Startschuss gegeben hatten“. Auch für große Konzerne gelte eben, dass Erfahrung gesammelt werden müsse – aber auch, dass bei allen Nachhaltigkeitsbestrebungen „die Produktivität der Dienstwagennutzer nicht leiden darf“.

Einen Blick in die nahe Zukunft wirft anschließend David von Hammerstein, Key Account Manager bei The Mobility House. Er skizziert die Chancen, die eine enge Verzahnung von Automobil- und Energiemarkt verspricht, und stellt vor diesem Hintergrund ein V2G-Projekt am EUREF-Campus in Berlin vor, das erstmals das Potenzial aggregierter Fahrzeugbatterien im Energiemarkt über reale Anwendungen an der europäischen Strombörse (EPEX Spot) nachgewiesen hat. Dabei konnten The Mobility House und seine Partner vierstellige Erlöse je Fahrzeug erzielen.

„V2G ist bei der derzeitigen Gesetzeslage noch nicht anwendbar. Aber Flottenbetreiber sind schon heute interessiert und teils auch schon gut informiert“, berichtet von Hammerstein. The Mobility House hat seinen Angaben nach inzwischen gut 1.000 große Ladeparks für Unternehmen realisiert und 163.000 Ladelösungen verkauft bzw. installiert. Die Möglichkeit, Energie aus Stromern zurück ins Netz zu speisen und so E-Autos als „Schwarm-Batterie“ zu nutzen, sei der nächste logische Schritt. „Und sobald der Gesetzgeber die Weichen stellt, werden wir liefern können. Und die Mitbewerber nicht.“

In der anschließenden Pandeldiskussion sind sich die vier Experten einig, dass der Wissensstand zur E-Mobilität bei Fuhrparkbetreibern aktuell sehr stark variiert. Eugenia Becker gibt sich überzeugt, dass es den politischen Druck braucht, um zu erreichen, dass sich Unternehmen mit dem Thema befassen. Auf die Frage, ob die Zeit bis 2035 zur vollständigen Elektrifizierung des Schwarz-Fuhrparks reiche, erwidert sie: „Sie muss uns reichen. Man ist gezwungen, sich zu kümmern. Ebenso wie die Automobilhersteller, wir alle müssen dafür an einem Strang ziehen.“

Das Lernen voneinander ist dabei nach Auffassung aller Experten elementar. „Wir arbeiten mit Positiv-Beispielen, ermutigen, bieten Know-how und Unterstützung“, so Verbandschef Schäfer. Auch Fuhrparkexpertin Becker schildert, dass man sich anfangs viel umhört, und der Fakt, „dass andere es ja mit der Elektrifizierung auch hinbekommen“, ein Antreiber sei.

Bei Erstberatungen begegnen Sebastian Ewert solche Statements häufig. Nach der kurzen Mittagspause geht der Gründer und CEO der MAHLE chargeBIG GmbH den Planungsprozess für eine betriebliche Ladelösung auf der digitalen Bühne durch. Auch Ewert ist wie Benze ein Verfechter eher langsamer Ladelösungen, schließlich stehen die meisten Autos auf dem Betriebsgelände die gesamte Schicht lang. „Für einen Dienstwagen mit einer typischen Pendelstrecke von 40 Kilometern und acht Stunden Standzeit sind nur 1,2 kW nötig“, rechnet Ewert vor. Anders sehe es aus, wenn Fahrzeuge für den regionalen Verteilverkehr oder schwere Nutzfahrzeuge elektrifiziert werden sollen. „Dann machen 22-kW- oder 75-kW-Lader Sinn.“

Ewert plädiert für einen „sinnvollen Ressourceneinsatz“ und einen insgesamt holistischen Ansatz, der das Gesamtunternehmen einbezieht. „Wir müssen die Lastpeaks des Unternehmens kennen: Gibt es eine Klimaanlage? Eine Kantine? Ein Rechenzentrum?“ Nur so lasse sich der Gesamtbedarf erörtern und mit einem individuellen Lastmanagement ein teurer Netzausbau vermeiden. Im besten Fall könnten dann „doppelt so viele E-Fahrzeuge laden als ursprünglich gedacht“. Die MAHLE chargeBIG GmbH hat nach Ewerts Angaben inzwischen 2.000 Ladepunkte bei Kunden installiert.

Mit Esther Rublack und Florian Hacker übernehmen anschließend zwei Vertreter von Umweltorganisationen das Mikro. „Im Verkehr wird die Klimaschutz-Lücke eher größer“, warnt die Referentin für Unternehmensmobilität von Agora Verkehrswende. Jedes einzelne Unternehmen könne aber etwas tun, denn Berufspendeln macht laut Rublack 22 Prozent der klimarelevanten Emissionen des Personenverkehrs aus. „Das ist ein großer Hebel.“ Das kürzlich abgeschlossene Projekt compan-e habe gezeigt, wie sich die Umstellung auf Elektroautos im Fuhrpark einiger großer Firmen beschleunigen lässt.

Florian Hacker, stellvertretender Bereichsleiter Ressourcen & Mobilität beim Öko-Institut, hat weitere compan-e-Ergebnisse im Gepäck, denn 500 Unternehmen ließen sich im Zuge des Projekts zur betrieblichen Mobilität befragen. „Vor allem die sehr kleinen und sehr großen Unternehmen beschäftigen sich bisher unterdurchschnittlich mit der Elektrifizierung ihres Fuhrparks“, so Hacker. Und selbst jene, die sich damit befassen, hätten oftmals keine Ziele formuliert. Sein Fazit: „Die Elektromobilität ist noch kein Selbstläufer!“ Unternehmen empfiehlt er deshalb, Daten zu sammeln, Bedarfe zu analysieren und dann vor allem Ziele zu setzen sowie interne Regelungen zu schaffen, um diese umzusetzen. Politisch muss man laut Hacker „weg von der befristeten Förderung und hin zu einem Instrument für einen langfristigen Kostenvorteil bei der E-Mobilität kommen, etwa durch ein angepasstes Steuersystem“.

Mit Dirk Burghaus, Leiter Produkt Management eMobility bei MENNEKES Elektrotechnik, hat Hacker einen Befürworter von Steueranreizen an seiner Seite. „Solch einen Förderkater, wie wir ihn gerade sehen, müssen wir künftig vermeiden“. Als Bedarf für die Wirtschaft nennt er 26 Millionen Ladepunkte bei Arbeitgebern bis 2030. Er rät Unternehmern dazu, vorausschauend zu handeln: „Wer jetzt neu baut oder renoviert, tut gut daran, die Vorgaben aus dem GEIG für die künftig vorgeschriebene Ladepunkt-Anzahl bereits zu beachten – zum Beispiel in Form von Leerleitungen. Das spart später viel Geld.“

Burghaus schildert, wie Mennekes selbst 100 Parkplätze neu gebaut und dieses Firmenvorhaben als großes Lernprojekt vorangetrieben hat. „Wir haben dort vieles selbst ausprobiert: eine Authentifizierung, Tarifvarianten zwischen Mitarbeitern und Besuchern, Lastmanagement-Konfigurationen und Ladepunkte von 2,3 bis 22 kW.“ Auch der Mennekes-Manager sieht bei Ladeanlagen übrigens Umsatzpotenzial: „Geschäftsmodelle wie die THG-Quoten sind höchstinteressant!“

In der abschließenden Paneldiskussion wird einmal mehr die Zeitspanne bis zum Verbrenner-Aus 2035 zum Fixpunkt. „Der Ladeinfrastrukturausbau läuft nicht optimal, aber es ist schon viel passiert. Megaumbrüche können sich schnell vollziehen: Das Smartphone hat keine zwölf Jahre gebraucht!“, so Burghaus. Durch flankierende Gesetzgebung auf EU-Ebene und national komme automatisch Schwung auf.

Umweltexperte Hacker gibt zu Bedenken, dass Unternehmer noch immer zögerten, weil sie sich nicht sicher sind, mit der Elektromobilität auf den richtigen Technologiepfad zu setzen. „Es gibt viele, die die Lage beobachten.“ Nur die Politik könne hier durch Vorgaben eine Dynamik schaffen. „Das haben wir bei den Autoherstellern gesehen: Erst als die Politik die Regulierung änderte, wurden die OEMs aktiv. Da erfolgte der Switch.“

Ewert betont dabei die Rolle der Chefebene in Unternehmen. „Wenn die Geschäftsführer selbst E-Autos nutzen, hat das Vorbildcharakter.“ Die Fuhrpark-Elektrifizierung sei aber ohne Frage ein beratungsintensives Thema.

Alles in allem zeigte sich bei „electrive.net LIVE“, wie hochdynamisch die Entwicklung ist, aber auch wie wenig Planungssicherheit noch immer angesichts hoher Energiepreise und der auslaufenden Förderung herrscht. Die nächsten Termine der Online-Konferenz drehen sich um folgende Themen: „Batterietechnologie für E-Fahrzeuge“ am 29.03.2023, „Smart Charging – Zukunft des Ladens“ am 26.04.2023 und „E-Mobilität für schwere Nutzfahrzeuge“ am 24.05.2023. Alle Infos und Termine finden Sie stets auf der Landing-Page electrive.net/live.

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